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Archive for Juli 2010

Nicht nur rechtswidrig, sondern dumm

Zu einem Kommentar von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 22.07.2010 http://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-verfassungsschutz-darf-linke-beobachten-nicht-nur-rechtswidrig-sondern-dumm-1.978080

Dazu folgende Stellungnahme im Internet:

Leserbrief:

„Der Beitrag war überfällig und als Demokrat kann man ihn fast vollständig unterschreiben. Fast. Denn Prantl begeht hier den Denkfehler, dem auch Bodo Ramelow unterliegt. Solange er auf der einen Seite ein Verbot ebenso unliebsamer Rechter fordert, meist pauschal als Neo-Nazis diffamiert, solange fehlt der ansonsten berechtigten Empörung über Beobachtungs-Mechanismen gegen die LINKE die Grundlage.
Wenn Ramelow sich im Prozess grundsätzlich und aus freiheitlicher Überzeugung gegen jedwede Beobachtung zugelassener Parteien ausgesprochen hätte, wäre für die Richter ein solcher Richterspruch fast unmöglich geworden. Man kann sich aber schlechterdings mit demokratischen Argumenten gegen eine Beobachtung wehren wollen und gleichzeitig die Beobachtung eines politischen Gegners für rechtens erklären. Heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an. Da liegt der Hase begraben und darum schien dem Gericht wohl die Klage als eine Farce. Das BVG wird wohl kaum anders entscheiden können. Es sei denn, die Beobachtung zugelassener politischer Parteien durch amtierende politische Gegner würde generell – und hier wahrscheinlich gegen den Willen von Ramelow und Prantl – infrage gestellt oder gar generell verboten werden. Das allerdings wäre ein Erfolg der Demokratie. Und in diesem Fall würde ich mich sogar persönlich bei Herrn Ramelow für seine Klage bedanken.
Appelfrau“

Anmerkung:
Dieser Beitrag wurde mit dem Vermerk:
„Bitte prüfen Sie Ihren Beitrag auf unzulässige Inhalte. Vielen Dank.“
nicht freigeschaltet.
Soviel zum Demokratie-Verständnis einer Redaktion. Oder kann mir Jemand auf die Sprünge helfen und verraten, welche Inhalte im vorstehenden Leserbrief unzulässig sind?

Einen schönen Tag wünscht mauerdemonstrant

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Biedermann als Brandstifter

Können Sie sich das vorstellen? Da geht ein bisher unbescholtener Nachbar in den Wald, der sich unweit Ihres Häuschens erstreckt, steckt sich eine Zigarette an und wirft diese nach ein paar gierigen Zügen gezielt in das verdorrte Unterholz. Im Nu entwickelt sich der einsetzende Schwelbrand zu einem fulminanten Feuer. Gerade noch kann sich unser Nachbar in Sicherheit bringen.
Schier atemlos läutet er an Ihrer Haustür und fragt Sie, was Sie zu dem furchtbaren Feuer vor Ihrer Haustür zu sagen hätten, er habe schon vorsorglich die Polizei informiert. Sie kennen den Nachbarn als netten Kameraden, der schon mal mit Ihnen in lauer Sommernacht ein Bierchen gezischt hat. Natürlich bleibt Ihnen die Sprache weg. Nicht nur wegen der heißen Luft, die beißend von dem brennenden Wald herüber geweht wird.
Dieses Bild kam mir in den Sinn, als ich wenige Tage nach der Verhandlung vor dem Amtsgericht Charlottenburg 41 Seiten (!) einer erneuten Anhörung mit dem Ziel des Ausschlusses aus einem Verein erhielt. Vor Gericht hatte der dreiköpfige Vorstand nach eindringlicher Verweisung auf die Sachlage den Beschluss vom 9. April diesen Jahres auf Ausschluss zurückgenommen. Freilich verschwieg er vor dem Richter, dass zehn Tage zuvor bereits eine erneute Anhörung mit eben demselben Ziel auf den Weg gebracht worden war.
Nun hielt ich also eine dritte Anhörung, die zweite innerhalb von vierzehn Tagen in den Händen, ohne Beifügung einer Antwort auf meine Stellungnahme zur zweiten Anhörung. Diesmal waren akribisch sämtliche Vorwürfe aufgereiht worden, einschließlich jener Punkte, die zuvor bereits vom Beschwerdeausschuss abgewiesen worden waren. Entweder dachten sich die Absender, unter denen nicht der Bundesvorsitzende war, durch Wiederholungen würden auch abgewiesene Vorwürfe richtiger oder sie setzten die einstigen Erfahrungen mit der unseligen Stasi der ehemaligen DDR um. Zu dessen Methoden gehörte die Zermürbung und Zersetzung ihrer Vernehmungsopfer durch ständige Wiederholungen bereits abgehandelter Themen.
Da ich bereits durch Experten wusste, dass dieses Verhaltensmuster bei ehemaligen Verfolgten durchaus bekannt war, erregte mich dieser Umstand allenfalls peripher. Schlimmer empfand ich die Beifügung von Unterlagen, die diverse Reaktionen von durch den Verein angeschriebenen Persönlichkeiten enthielten. Die hatten sich natürlich nicht amüsiert über die Anschwärzungen und Diffamierungen gezeigt und entsprechend reagiert. Und nun wollten die Urheber dieser provozierten Stellungnahmen doch allen Ernstes von mir wissen, was ich denn zu diesen schlimmen Reaktionen auf meine Person zu sagen hätte. Das Gift der Stasi frisst sich also auch zwanzig Jahre nach ihrer Auflösung (?) fort: Biedermann legt die Brände und fragt erstaunt bis empört nach der Reaktion auf das entfachte Feuer.
In der Vergangenheit soll es ja immer wieder Feuerwehrler gegeben haben, die Brände nur deshalb verursachten, um ihre Fähigkeiten zur Brandbekämpfung unter Beweis stellen zu können. Letztlich wurden sie alle früher oder später entlarvt. Das lässt mich trotz widriger Umstände hoffen …

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Adieu, Fritz Teufel

Nur ein Jahr warst Du mir voraus. Hoffentlich folge ich Dir nicht ebenso nach, denn ein wenig Leben würde mir schon noch gut tun.
Wir waren politisch ziemlich weit auseinander. Mit der Bewegung „2.Juni“, mit der „Kommune 1“, mit Rudi Dutschke hatte ich nichts am Hut. Trotzdem weiß ich heute, dass Ihr, das Du notwenig warst, um die Verkrustungen aufzubrechen, Neues zu wagen und Neues zu schaffen.

Was mich – noch mehr im Rückblick als damals erkannt – fasziniert, ist die clowneske Herangehensweise an die Probleme. Da haben wir ähnlich agiert, haben das Potential im „Augenzwinkern“ gesehen, wenn auch aus unterschiedlichen Startecken heraus.
Wir hatten einmal eine direkte Begegnung. Ihr hattet 1967/1968 das Germanistische Institut (?) in Dahlem besetzt. Mit meinen Freunden beschlossen wir eine Gegenaktion, aber wie sollte die aussehen? Wir setzten meine Idee um, schleppten demonstrativ an einer „schweren“ Tasche und umkreisten damit das besetzte Institut. Plötzlich tauchtest Du mit zwei, drei Freunden aus der Dunkelheit auf.

„Was ist in der Tasche?“ „Geht Euch gar nichts an!“ „Tasche aufmachen!“ „Holla, jetzt auch auf Kontrollitis? Wir dachten, Ihr seid dagegen?“

So ging das einige Zeit hin und her. Du vermutetest Steine in der Tasche. (Den Eindruck wollten wir ja auch erwecken. Die Tasche wurde immer „schwerer“, denn ich gab sie nicht aus der Hand.) Schließlich, ihr nahmt eine ziemlich drohende Haltung ein, öffneten wir –langsam und bedächtig – den Reißverschluss. Die Enttäuschung stand Dir ins Gesicht geschrieben, als nur eine Flüstertüte zu sehen war (mit der ich ansonsten über die Mauer hinweg die Vopos aufforderte, nicht auf Deutsche zu schießen). Schnell warst Du entschwunden und wir freuten uns wie kleine Kinder, Fritz Teufel angeschmiert zu haben.

Später habe ich einige Aktionen durchgeführt, die ebenso von Dir hätten stammen können.
Darüber werde ich nicht hier sondern erst konkret in meinem Buch schreiben. Mit einfachen Mitteln den Finger in die Wunden zu legen und damit spektakulär auf Unebenheiten oder Ungerechtigkeiten hinweisen, das hat uns in der Tat verbunden. Und dabei waren wir immer gewaltlos. Das war unsere Stärke. Du bist gleich fünf Jahre unschuldig ins Gefängnis gegangen, um auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Ich habe – nach einer Verurteilung zu acht Jahren – dreizehn Monate bis zum Freikauf in DDR-Haft gesessen, um auf das Schicksal der politischen Gefangenen aufmerksam zu machen.
So verschieden unsere Ansatzpunkte waren, so waren wir uns in der Tat ähnlicher, als es uns jemals bewusst war. Nun hast Du Dich verabschiedet und grinst wahrscheinlich ironisch über die Nachrufe auch aus den Verlagen, die Dich seinerzeit lieber auf dem Mond als in den Straßen Berlins gesehen hätten.
Du wirst auch uns in lebhafter Erinnerung bleiben. Nicht anbiedernd, sondern mit dem notwendigen Respekt für einen unbequemen Zeitgeist, der vielleicht nicht viel, aber einiges bewegt hat.

Adieu, Fritz Teufel.