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Archive for August 2010

Hungerstreik: Thierse fordert humanitäre Lösung

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Firas Maraghy

Bundestagsvizepräsident spricht in israelischer Botschaft vor

Berlin, 30.08.2010/cw – Seit 35 Tagen sitzt der Palästinenser Firas Maraghy schräg gegenüber der israelischen Botschaft unter einem Baum und hungert. Zunächst fast unbeachtet berichten seit acht Tagen diverse Medien zunehmend über das Anliegen des verzweifelten Mannes. Heute bekam der Hungerstreiker erstmals offiziellen Besuch: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) besuchte den Palästinenser in der Auguste-Viktoria-Straße, um dessen Motive zu erfragen. Danach begab sich der Politiker in die Botschaft, um sich für das Anliegen argumentativ einzusetzen.

Hindernisse auf dem Weg in die Israelische Botschaft

Firas Maraghy lebt seit einigen Jahren in Deutschland, hat hier eine deutsche Frau geheiratet, mit der er seit sieben Monaten eine Tochter hat. Doch auch in Berlin holte den palästinensischen Gast die hohe Politik ein. Seit Generationen lebt seine Familie in Jerusalem, das bekanntlich zwischen Israelis und Palästinensern als jeweils beanspruchte Hauptstadt umstritten ist.

Auch um ihre Zukunft - in Jerusalem, in Berlin - geht es

Und so verweigern die Israelis dem Palästinenser Maraghy das verbriefte Recht, jederzeit in seine Heimatstadt zurückkehren zu können. Sollte er an einem weiteren Aufenthaltsrecht interessiert sein, müsse er für mindestens 17 Monate wieder nach Jerusalem ziehen. Und die Familie? Die hat kein Aufenthaltsrecht, da die Ehefrau Deutsche ist, von der Tochter ganz zu schweigen. Firas Maraghy möchte weder seine junge Familie über ein Jahr alleine lassen, nur um ein „Menschenrecht auf Heimat“ durch eine unmenschliche Trennung zu erschleichen. Maraghy fordert ein unbegrenztes Rückkehr- und Einreiserecht als Bürger Jerusalems und eine Wahlmöglichkeit für seine Tochter zumindest bis zum 18. Lebensjahr. Das lehnt Israel ab.

Sie stehen hinter dem Protest: Mutter Maraghy mit Tochter

Und nun hungert ein sich um sein Heimatrecht betrogen fühlender Vater seit fünf Wochen, um die Welt auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen und hoffend, dass Israel letztlich dem humanitären Anliegen Rechnung trägt.

Einfallsreiche Sympathiesanten demonstrieren mit

Nach einer guten halben Stunde verließ Wolfgang Thierse die Botschaft und informierte den Demonstranten über das Ergebnis seiner Bemühungen: Der Gesandte habe ihm, Thierse, zugesagt, dass Firas Maraghy in Jerusalem „einen kompetenten Gesprächspartner“ vermutlich aus dem Innenministerium haben werde und man vor Ort eine „humanitäre Lösung für sein Problem suchen und anstreben“ wolle. Thierse appellierte an Maraghy, „dieses Angebot“ anzunehmen und sich “nicht zu Tode zu hungern“.
Maraghy bedankte sich für Thierses Engagement, er wolle sich mit seiner Frau, die mit Tochter anwesend war, und seinen Freunden beraten. Vor Ort schlossen sich heftige Diskussionen an. Jüdische Mitbürger, palästinensische Freunde und viele Unterstützer aus unterschiedlichen politischen Lagern debattierten über den Einsatz des SPD-Politikers, über Erfolg oder Misserfolg der Mission.

Maraghy und Sterneberg mit C.W. Holzapfel vom Verein 17.Juni 1953

Die Vereinigung 17. Juni, die Maraghys Anliegen vor Ort unterstützt und durch den Vorstand vertreten war, appellierte heute an die verantwortlichen Entscheidungsträger, der Humanität den Vorrang vor politischen Ränkespielen einzuräumen: „Sich einer menschlichen Lösung zu verweigern, wäre ein Zeichen der Schwäche, eine humanitäre Lösung zu finden ein Zeichen der Souveränität und Stärke,“ betonte ihr Vorsitzender Holzapfel vor Ort. „Gerade von Israel, dessen Gründung einer vorhergegangenen beispiellosen Verfolgungs- und Mordszenerie folgte, sei eine erstrangige Vertretung humanitärer Rechte von Menschen unabhängig von deren Rasse oder Volkszugehörigkeit zu erwarten.“ Die Vereinigung 17. Juni sei sich mit der Familie des Hungerstreikenden einig, das die „Lösung eines weltpolitischen Problems nicht unter der Baumkrone in einer Berliner Straße“ erfolgen könne. Um so mehr unterstütze die Vereinigung „jeden Versuch und jede Bemühung, der Familie zu ihren international verbrieften Rechten zu verhelfen und eine humanitäre Einzelentscheidung herbeizuführen,“ so der Vorstand.

Auf dem Transparent: Die Menschenrechte ...

Fotos – © 2010 Vereinigung 17. Juni 1953 e.V.

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Wieder in der DDR angekommen?

30. August 2010 4 Kommentare

Man muss ja nicht die Thesen von Thilo Sarrazin teilen. Man kann, ja man sollte auch einigen Thesen energisch widersprechen. Aber: Man sollte hart aber fair diskutieren über ein Thema, das Dank Sarrazin (und Dank einer ums Leben gekommenen Jugendrichterin) in die Öffentlichkeit getragen worden ist. Diese Diskussion ist nicht nur notwendig in einer Demokratie, sie war, sie ist überfällig.

Doch haben wir noch diese Demokratie, wie sie sich unsere Gründerväter einst vorgestellt haben? Oder wie wir sie als junge Menschen in den jungen Jahren der (alten) Bundesrepublik erfahren durften? Ich erinnere mich noch gut an eine Begebenheit Anfang der sechziger Jahre. Als junger Demonstrant gegen die Mauer veröffentlichte eine Wochenzeitung in (West-) Berlin in zwei Folgen einen Artikel von mir: „Albertz degradiert Polizisten zu Mauerwächtern“. Heinrich Albertz war Innensenator und Bürgermeister von Berlin.
Nun war ich ja zu diesem Zeitpunkt „öffentlich Bediensteter“, als Reklamearbeiter bei der BVG (Berliner Verkehrs-Gesellschaft) beschäftigt. Solche Zeilen ließen sich nach heutigem allgemeinen Verständnis „nicht mit den Pflichten eines öffentlich Bediensteten“ vereinbaren. Damals jedoch kam es weder zu einer Rüge noch zu einer Ermahnung durch Vorgesetzte oder gar durch eine staatliche Stelle. Im Gegenteil wurde ich auch von Heinrich Albertz (SPD) zum politischen Diskurs ins Rathaus Schöneberg eingeladen…
Auch das hat meine Überzeugung für diese Demokratie gestärkt. Dass ich Mitte der siebziger Jahre ausgerechnet im schwarzen Bayern wegen eines Leserbriefes auf Druck des Innenministeriums meine hoffnungsvolle Karriere in einer Sparkasse aufgeben musste, war dann eine bittere Lektion…

Seit einigen Jahren, besonders nach der Wiedervereinigung (offiziell: Beitritt der DDR)
geht diese erlebte Meinungsfreiheit ihrem Untergang entgegen, wird unheimlich unbeachtet zum Meinungsterror. Unheimlich deswegen, weil diese „Meinungsstruktur“ (noch) nicht an einem Ministerium, an einer Institution festzumachen ist. Sie hat sich schleichend etabliert, wird als „Konsens“ unwidersprochen nicht nur akzeptiert, sondern breit durch entsprechende Kampagnen unterstützt.
Der Fall Sarrazin ist nur ein Beispiel und hier ein bisheriger Höhepunkt. Statt Warnungen vor einer gefährlichen Beschränkung der Meinungsfreiheit, ihrer energischen Verteidigung ohne „Wenn“ und „Aber“ mischt sogar die Bundeskanzlerin mit, fordert Konsequenzen der Bundesbank gegen den Buchautor. Und alle, alle stimmen ein.
Da stellt sich dem „Mauerdemonstranten“ nicht nur die Frage, ob er für diese Form der „Freiheit“ einst die eigene Freiheit riskiert (und vorübergehend verloren) hatte? Es stellt sich auch die (übrigens versteckt, also unter der Oberfläche schon längst diskutierte) Frage, ob die DDR der (alten) Bundesrepublik beigetreten ist oder nicht viel mehr die Bundesrepublik der DDR? Natürlich ist das (noch) nicht die alte DDR, mit Stasi gegen und Zuchthäusern für politisch Andersdenkende. Bewahre. Aber eine „Freie Deutsche Demokratische Republik“ ist doch wohl im Ansatz schon vorhanden, oder? Und die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass eines Tages Kampagnen gegen Andersdenkende nicht mehr ausreichen, weil sich zu Viele damit identifizieren (infizieren). Dann reicht die Maßregelung und Verdammung eines Mitgliedes der Bundesbank und zuvor immerhin geachteten Politikers der SPD nicht mehr aus. Dann ist der Schritt zu polizeilichen und letztlich justiziellen Maßnahmen gegen die „Störer der öffentlichen Ordnung“ nicht mehr groß sondern wird bedenklich klein.

Hallo, wieder in der DDR angekommen?

Unrechtsstaat: Politisch indizierte Verfolgung und Ermordung Unschuldiger

25. August 2010 1 Kommentar

– Ob nachstehende Meldung auch nur leichte Wellen ausgelöst hätten, wie die tatsächlichen Äußerungen über die DDR durch einen nach wie vor einflussreichen CDU-Politiker, darf ernsthaft bezweifelt werden. Tatsächlich würden vergleichbare Äußerungen über Das Dritte Reich politische Erdbeben auslösen und einen politisierenden Rechtsanwalt in die Ecke der politischen Verdammnis stellen (weshalb er vermutlich keine derartigen Äußerungen zum Dritten Reich von sich geben würde). Niemals wurde bestritten, dass auch in Diktaturen gelebt, geliebt und gestorben wurde oder wird, Häuser und Straßen gebaut und Banken verwaltet, Mörder und sonstige Verbrecher als solche abgeurteilt werden. Nur verquere Köpfe können aus diesen Banalitäten ableiten, eine solche Diktatur sei wegen dieser Selbstverständlichkeiten eines Staats-Alltags nicht als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein Unrechtsstaat wird nicht durch vergleichbare alltägliche Lebensformen und die Aburteilung wirklicher Verbrechen zu einem Staat des Unrechtes. Er wird es durch die politisch indizierte Verfolgung und Ermordung Unschuldiger, durch ein unentschuldbares Drangsalierungs- und Überwachungssystem gegen die eigene Bevölkerung, durch die Staatsdoktrin der Unterdrückung und Strafbarkeit von Meinungsfreiheit. Nichts anderes, nichts mehr und auch nichts weniger verdient ja erfordert die Klassifizierung als Unrechtsstaat. Das ist keine Gleichsetzung einer sozialistischen Diktatur mit einer anderen sozialistischen Diktatur. Es ist eine Feststellung über die Einordnung eines Staatswesens als Unrechtsstaat.

Die s o nie verbreitete Meldung:

CDU-Politiker: Das Dritte Reich war kein Unrechtsstaat

Ein ehemals führender Politiker der DDR (CDU), hat die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für das einstige Dritte Reich als unpassend zurückgewiesen. „Ich halte diese Vokabel für unglücklich. >Das Dritte Reich< war kein vollkommener Rechtsstaat. Aber es war auch kein Unrechtsstaat. Der Begriff unterstellt, dass alles, was dort im Namen des Rechts geschehen ist, Unrecht war“, wird der Politiker zitiert.
Wenn dies so gewesen wäre, hätten Urteile aus der NS-Zeit nicht weiter vollstreckt werden können, begründete der CDU-Politiker seine Haltung. Auch im Dritten Reich sei Mord Mord gewesen und Diebstahl Diebstahl. „Das eigentliche Problem waren das politische Strafrecht und die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit“, kritisierte er.
Der Politiker war im Dezember 1990 von der politischen Bühne abgetreten, nachdem Stasi-Vorwürfe gegen ihn aufgekommen waren. Dennoch bestritt er stets, für die Stasi gearbeitet zu haben. Lediglich in seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt habe er mit der Staatssicherheit zu tun gehabt. Ob auch die Vermeldung von Fluchtabsichten eines DDR-Bürgers zu den Obliegenheiten eines Rechtsanwaltes gehört haben, ließ der Politiker offen. In seinem Buch „Im Visier“ schilderte Willy Hyronimus Schreiber, ein Stasi-Verfolgter, den Verrat seiner Fluchtabsicht an das MfS durch den einstigen DDR-Rechtsanwalt. Dazu der CDU-Politiker: “Ich kann mir nicht erklären, wie eine solche Notiz in die Stasi-Akten gelangt sein könnte.“

P.S.: Zwischenzeitlich rudert der CDU-Politiker zurück

http://www.nordkurier.de/index.php?objekt=nk.homepage&id=708000

während die Bundeskanzlerin zu den Entgleisungen ihres (Partei-)Freundes schweigt und sich lieber der Äußerungen des SPD-Mitgliedes Sarrazin annimmt.

Kategorien:Die andere Meinung

Nur wer auf die Barrikaden geht und protestiert…

„Nur wer auf die Barrikaden geht und protestiert, der ist dem Himmel näher“ (Bert Brecht).
An diese Worte muss ich wieder in diesen Tagen denken. Auf den Tag genau vor zwanzig Jahren, am 16. August 1990, beendete ich nach sechs Tagen den Hungerstreik vor dem Justizministerium der DDR, nachdem der Justizminister Prof. Kurt Wünsche der Hungerstreik-Forderung zum Rücktritt nachgekommen war. Es war der einzige unmittelbare Erfolg einer Protestaktion nach vielen Demonstrationen und Hungerstreiks gegen die Berliner Mauer, gegen das am 9. November 1989 überwundene diktatorische SED-DDR-System.

Im Juli 1990 war ich von meiner Bank nach Eisenach entsandt worden, um vor Ort nach Beginn der Währungsunion die Infrastruktur für die Bank aufzubauen. Irgendwann las ich in diesen aufregenden Wochen von den Verstrickungen des Justizministers in der ersten (und letzten) demokratisch gewählten Regierung der DDR nach dem Mauerfall. Dieser Mann war bereits unter Ulbricht und Honecker in diesem Amt. Ich konnte und ich wollte nicht begreifen, dass ein derart belasteter Politiker nunmehr in einem demokratisch gewählten Kabinett vertreten war. Nach kurzer Zeit stand mein Entschluss fest. Ich nahm mir Urlaub und fuhr am 10. August nach Berlin, um einen unbefristeten Hungerstreik vor den Toren des Justizministeriums zu beginnen. Mit einem Schild: „Terrorminister Wünsche, treten Sie zurück!“ konfrontierte ich morgens und abends den Minister mit dieser Forderung, wenn er in den Hof des Ministeriums einfuhr oder davonfuhr.

Schon nach zwei Tagen lud mich der Minister zu einem Gespräch in sein Büro ein. Das war wohl der einmaligen Aufbruchstimmung geschuldet, denn ich konnte mich weder vorher noch nachher daran erinnern, dass mich je ein Verantwortlicher aus einem solchen Anlass zu einem Gespräch eingeladen hätte. Wünsche legte mir seine Sicht der Dinge dar. Er sei zwar damals Minister gewesen, aber die Strippen hätten andere gezogen. Er sei nur Figur in einem dubiosen Spiel gewesen, ohne Entscheidungs- oder Verantwortungsbefugnis. Ich widersprach, verwies auf die grundsätzliche politische Verantwortung eines Ministers für Geschehnisse in seinem Zuständigkeitsbereich. Und ich appellierte an Kurt Wünsche, wenige Wochen vor dem bereits feststehenden Ende der DDR Charakter zu zeigen und die Verantwortung zu übernehmen.
In einem zweiten Gespräch vertiefte Wünsche seine Sicht der Dinge, forderte mich auf, den Hungerstreik zu beenden. Diesmal verwies er auf sein Engagement, um eine Entschädigungs-regelung für die ehemaligen politischen Verfolgten zu erreichen. Bonn, gemeint war das Kabinett Helmut Kohl, habe bereits zwei Vorschläge der DDR-Regierung „als nicht finanzierbar“ zurückgewiesen, gegenwärtig sitze er über einem dritten Vorschlag. (Tatsächlich wurden mir diese Angaben später bestätigt. In meinem Glauben an die Integrität der Regierung in Bonn hatte ich die Abweisung von Entschädigungen ehemaliger politischer Verfolgter zunächst nicht glauben wollen.)

Am 16. August wurde ich zu einem dritten Gespräch eingeladen. Der Minister war ernst, schien auch bedrückt. Er eröffnete das Gespräch mit der Ermahnung, er würde mir jetzt eine Mitteilung machen. Wenn ich darüber spräche, würde er den Inhalt bestreiten und seine Absicht revidieren. Natürlich sagte ich Vertraulichkeit zu. Dann erklärte mir Wünsche, dass am Abend drei Minister zurücktreten würden. Er habe den Ministerpräsidenten gegen dessen energischen Widerstand gebeten, auch seinen, Wünsches Rücktritt, anzunehmen. Ich war über diese Wendung überrascht, aber auch sehr stolz über diesen Erfolg meines bereits sechs Tage andauernden Hungerstreiks. Nachdem ich die Begründung des Ministers gelesen hatte, auf ein weißes Stück Papier ohne Briefkopf geschrieben, aber von ihm unterzeichnet, konnte ich meinen Respekt nicht versagen. Wünsche übernahm die Verantwortung an seinem Mitwirken und forderte auch andere auf, „die sich in einer ähnlichen Situation befinden, über Konsequenzen aus ihrer politischen Verantwortung für Vergangenheit und Gegenwart rechtzeitig vor dem Beitritt der DDR zur BRD nachzudenken.“ Der Minister hatte damit nahezu wortwörtlich meine Argumentation übernommen.

Zurück aus dem Ministerbüro war mir etwas taumelig zumute. War das ein Film oder Wirklichkeit? Würde mir das jemals geglaubt werden, wenn ich darüber einst berichten würde? Wem gegenüber konnte ich mich offenbaren, wen als Zeitzeugen gewinnen? Ein bekanntes Boulevard-Blatt schied aus. Die würden einer möglichen Sensation wegen den eigenen Verleger verkaufen. Zwei Tage zuvor hatte mich Axel Hacke von der Süddeutschen Zeitung besucht. Die Süddeutsche schien mir seriös genug, den Vorgang festzuhalten, ohne diesen durch vorzeitige Veröffentlichung zunichte zu machen. Axel Hacke residierte in einem Haus quasi um die Ecke.

„Was ich Ihnen jetzt sage, dürfen Sie auf keinen Fall offiziell verwenden, bevor das amtlich wird. Sonst ist der Erfolg meines Hungerstreikes gefährdet.“ Nachdem mir Hacke die Zusage gegeben hatte, berichtete ich dem erstaunten Journalisten von dem Gespräch im Ministerbüro. Hacke fragte mehrfach zurück, ungläubig, erstaunt, fast ratlos, wie er mit einer solchen Mitteilung umgehen sollte. Wenig später beschrieb er auf der Seite Drei der SZ die Situation: „Wünsche habe seinen baldigen Rücktritt in Aussicht gestellt, ihm (Holzapfel) sogar eine Termin genannt … Und es würden nicht nur Wünsche selbst, sondern auch einige andere Minister ihr Amt verlassen. Da dachten wir noch, sechs Tage Hunger hätten dem Mann ein wenig die Sinne verwirrt.: Wann hätte man je den Zusammenbruch einer Regierung ausgerechnet von einem hungerstreikenden Herrn aus Puchheim (Bayern) erfahren? Zwei Stunden später gab Lothar de Maizière die Entlassung der Minister Romberg und Pollack sowie die Demission ihrer Kollegen Pohl und Wünsche bekannt. Am nächsten Tag kommt Carl-Wolfgang Holzapfel noch einmal vorbei und überreicht eine Presseerklärung, die überschrieben ist: „Bankkaufmann aus Bayern erzwingt Rücktritt Wünsches“.

Zurück in Eisenach beglückwünschten mich die jungen Kollegen zu dem „tollen Erfolg“.
Der Zweigstellenleiter (unseres Containers) aber eröffnete mir meine Abberufung auf Veranlassung der Frankfurter Zentrale, die er trotz aller Bemühungen nicht habe verhindern können. Ich sollte mich umgehend bei der Geschäftsleitung in München melden.
Dort wurde mir dann eröffnet, ich hätte mit meiner Aktion in Berlin „den Interessen der Bank in der Deutschen Demokratischen Republik schweren Schaden zugefügt.“ Das war exakt sieben Wochen vor dem Ende dieser DDR und das Ende meiner Banklaufbahn.

C´est la vie! Ich lebe noch. Und ich erinnere mich zwanzig Jahre danach an Berthold Brecht:
Nie war ich dem Himmel näher, als in dieser Stunde des Triumphes in einem Ministerbüro im einstigen Ost-Berlin.

Kambodscha: Solidarität mit dem Völkermord

4. August 2010 1 Kommentar

Leserbrief, am 31.07.2010 an die Berliner Zeitung abgeschickt

Der erste Prozess gegen einen der Verantwortlichen des Pol-Pot-Regimes gibt Anlass, an die gewaltigen Verbrechen, die 1975 bis 1979 in Kambodscha geschehen sind, zu erinnern. Die Berliner Zeitung hat das in mehreren informativen Artikeln getan. Besonders bemerkenswert, gut und richtig und auch nötig fand ich, dass in der Ausgabe vom 26.07. sich mit Arno Widman ein Autor zu Wort meldete, der sich selbst der linksorientierten Studentenbewegung nach 1968 zuordnet und sich nun kritisch damit auseinandersetzt. Die Artikelüberschrift „Solidarität mit dem Völkermord“ gibt die präzise Zusammenfassung.
Nach Jochen Staadt (FAZ, 31.01.2001) gehörten in den siebziger Jahren etwa einhundert-tausend junge Westdeutsche zur linksradikalen Fundamentalopposition. Am 15. April 1980 sandte der auch von Arno Widman namentlich genannte Sekretär des „Kommunistischen Bundes Westdeutschlands“ (KBV) – und spätere Berater von Außenminister J. Fischer – Hans-Gerhart Schmierer ein Solidaritätsschreiben an den „Genossen Pol-Pot“. Zugleich sammelte der KBW für die im Dschungel untergetauchten Reste der Roten Khmer 238 650 DM (nach dem erwähnten Zeitungsartikel von Jochen Staadt). Über das wahre Gesicht der Roten Khmer gab es damals bereits hinreichend Informationen.
Was ist aus der linksradikalen Massenhysterie in der Bundesrepublik der siebziger Jahre geworden? Hat sie sich in Nichts aufgelöst? Geblieben ist eine Haltung gegenüber allem, was sich kommunistisch nennt oder nannte, die von verständnisvoller Nachsicht bis zu liebevoller Sympathie reicht. Das gilt gegenüber den Verbrechen Stalins und Maos und auch gegenüber dem Unrechtsregime DDR. Und diese Haltung trifft man in der politischen Öffentlichkeit keineswegs nur in der Partei, die sich „DIE LINKE“ nennt. Mit dem Erbe werden wir uns wohl noch sehr lange auseinandersetzen müssen.

Heinz Steudel, Berlin

Männlein und Weiblein, Freiheit und Unfreiheit

Auch für den „abgebrühten Polit-Profi“ war die Veranstaltung der SPD und ihrer Untergliederungen im einst weltberühmten Rathaus Schöneberg am 27. Juli interessant und von einem gehobenen Informationswert. Die SPD wollte, diesmal unbehindert durch die auf der Demonstration noch willkommene AntiFa und zahlreicher kommunistischer Splittergruppen ein Fazit aus der „erfolgreichen Demo“ gegen den Parteitag der rechten Bewegung „Pro Deutschland – Pro Berlin“ ziehen.
Mochte man die strikte Zuteilung der Wortmeldungen auf Männlein und Weiblein in einer Zeit der Gleichstellung noch als skurril ansehen, so verging dem Zuhörer schnell das Lächeln angesichts der offenen Widersprüche. Da verlas die Tagungsleiterin das Grußwort des Regierenden Bürgermeisters, der formgerecht bedauerte, wegen Terminschwierigkeiten an einer Teilnahme gehindert zu sein und sich „gegen Ausgrenzungen und Diskriminierungen“ von Menschen aussprach.
Derweil wurden (Text auf Antrag Ronald Lässigs (SPD) durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 31.08.2010, Az:: 27O 676/10, gelöscht.) eben Menschen diskriminiert und ausgegrenzt, nämlich Kommunismus-Opfer unter obskuren Begründungen des Saales verwiesen oder gar nicht erst eingelassen.
Vielleicht hat „unser Journalist“, als der Lässig launig begrüßt wurde, aber ohnehin keine Schwierigkeiten, „f“ und „u“, Freiheit und Unfreiheit, Parolen und Wirklichkeit unter einen Hut zu bringen? Denn wie sollte man als aufmerksamer Zuhörer sonst verstehen, (Text auf Antrag Ronald Lässigs (SPD) durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 31.08.2010, Az:: 27O 676/10, gelöscht.) dass hier der Referent Lässig ohne jede Hemmung die erfolgreiche Instrumentalisierung der Medien für den AntiFa-Aufmarsch pries und dabei auch die erfolgreiche Berichterstattung im „Neuen Deutschland“ anführte, einst das Zentralorgan der SED in der DDR.
Interessant auch im Laufe der Veranstaltung die Hervorhebung der Bestrebungen der rechten Pro-Deutschland-Bewegung als „Gefahr für die Wahlen“ im nächsten Jahr. Auffallend hier der immer wieder betonte Schwerpunkt der Wahlen und die kaum erwähnte Bedrohung der Freiheit durch „Nazis“. Auf der Demo hatte sich das für den Beobachter noch ganz anders dargestellt. Hier wurde der Untergang des Abendlandes durch die akute Bedrohung neuer Nazis gegen die Rathaus-Mauern gebrüllt und sogar Brautleute vorsorglich erst einmal mit „Nazis raus“ beschrieen, bevor die verschreckten Verliebten durch demonstrative Küsse ihre Unschuld belegen konnten.
Die „Freiheit, die ich meine“ wurde auch auf der SPD-Veranstaltung wohl zu egoistisch interpretiert („Freiheit, die i c h meine“) und weniger als allgemein gültiges Postulat verstanden, für die einst unzählige Genossen hinter den Zuchthausmauern der Kommunisten und zuvor der Nazis verschwanden. Auch Rosa Luxemburg wurde hier nicht zitiert: „Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden.“ Alles „Schrott von gestern?“
Die Alt-Vorderen wussten noch sehr genau, das die sprachliche Verwendung gleichlautender Begriffe nicht mit dem gleichen inhaltlichen Verständnis einhergingen. Aber die Veranstaltung im John-F.-Kennedy-Saal zu Schöneberg sollte ja auch weniger eine Bildungs-Veranstaltung als vielmehr ein mit Anti-Faschismen verklärter Wahlkampfauftakt sein, auch wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung diese „Fortbildung“ mitfinanzierte.
Schade für die SPD, dass (Text auf Antrag Ronald Lässigs (SPD) durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 31.08.2010, Az:: 27O 676/10, gelöscht.) dieser gestylte Plan mit dem skandalösen, für die SPD peinlichen Rauswurf von Diktatur-Opfern lässig durchkreuzt wurde.
Und die Moral von der Geschichte? (Auch) Genossen machen Propaganda selbst zunichte.