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Archive for Februar 2011

Dietrich Stobbe: Ein Gentleman hat die Berliner Bühne verlassen

Dietrich Stobbe, er konnte den Ostpreußen nie ganz verheimlichen, ist tot. Wie so üblich, überraschte mich die Nachricht unterwegs, kam aus dem Autoradio. Meine erste Reaktion: Wieder zu spät. Warum?
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten meines Lebens, fast immer zu spät zu kommen. Menschen, mit denen mich einiges oder gar viel verband, verabschiedeten sich aus dem Leben, bevor ich noch einmal mit ihnen sprechen konnte.
Dietrich Stobbe sah und sprach ich zuletzt im Reichstag. Wir nahmen gemeinsam am Empfang aus Anlass des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung im Anschluss an die beeindruckende Feier zum 3. Oktober vor dem Portal: „Dem Deutschen Volke“ teil.

Die Freude über die Begegnung war beidseitig. Wir erinnerten frühere Zeiten, besonders an das einstündige Gespräch im Sommer 1963 im Büro des damaligen Referenten von Jugendsenator Kurt Neubauer. Ausgangspunkt war ein offener Brief an den damaligen Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD), veröffentlicht in der Berliner Morgenpost. Stobbe sollte ein Gespräch mit dem Jugendsenator vorbereiten (später folgte auch ein Gespräch, das eher einer Auseinandersetzung gleichkam, mit Albertz im Schöneberger Rathaus).

Dietrich Stobbe warb sehr um mich und versuchte mich davon zu überzeugen, das man „solche Menschen wie Sie“ in der SPD brauche. Auch die Zusage, er „werde ein Auge auf mich“ haben, konnte mich nicht überzeugen. Abgesehen davon, dass weder Stobbe noch ich ahnten, dass dieser vierzehn Jahre später Regierender Bürgermeister sein würde, lehnte ich sein Werben ab. Mich verbänden zwar mit der Sozialdemokratie viele Inhalte im sozialen Sektor, allein wegen der deutschlandpolitischen Vorstellungen (z.B. „Wandel durch Annäherung“ an eine Diktatur) könne ich mich nicht entschließen, seiner Partei beizutreten.

Lachend fragte Stobbe im Reichstag, ob seine Werbung denn später Erfolg gehabt hätte? Ich verneinte, erwähnte aber dann doch, über drei Jahrzehnte überzeugter Gewerkschafter (und Betriebsratsvorsitzender) gewesen zu sein. Am Ende lud uns (meine Partnerin und mich) das Ehepaar Stobbe zu einem Kaffe nachhause ein. Wir tauschten unsere Karten aus und ich versprach seiner reizenden Frau, gerne anzurufen und einen Termin zu vereinbaren („vielleicht in der Weihnachtszeit“).

Stobbe hatte zwar älter ausgesehen, als es sein Alter vermuten ließ und ging am Stock. Hätte ich auch nur geahnt, wie es um ihn stand, hätte ich unsere Termine anders geordnet, hätte schneller zum Telefon gegriffen. Wie gerne hätte ich noch einmal ohne politischen Zwang mit diesem Menschen über die Ereignisse im Schatten der Mauer, über den überwältigenden 9. November 1989, über unsere seinerzeitigen Träume und Vorstellungen diskutiert. Jetzt ist es zu spät. Wieder einmal.

Jetzt bleibt mir nur die Erinnerung an einen geradlinigen Menschen, dem ich in meinen jungen Jahren des stürmischen Protestes gegen die Mauer begegnen durfte und in dem ich nie einen Apparatschick gesehen hatte. Mein tiefes Mitgefühl gilt seiner Frau und seiner Familie.

Dietrich Stobbe, geboren am 25. März 1938 in Weepers, Ostpreußen, starb am 19. Februar 2011 nach schwerer Krankheit in Berlin.

Carl-Wolfgang Holzapfel, 19.02.2011

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Käßmann erhält Preis für Rücktritt nach Alkoholfahrt

ZIVILCOURAGE

Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, erhält den Europäischen Kulturpreis für Zivilcourage. Käßmann wird für ihren Rücktritt nach einer Trunkenheitsfahrt vor rund einem Jahr ausgezeichnet. Der von der Kulturstiftung Pro Europa ausgelobte Preis wird den Angaben zufolge am 4. März in der Frankfurter Paulskirche verliehen. epd

Aus: Berliner Morgenpost 13.02.2011

Kommentar:

Sehr verehrte Frau Käßmann,

Ihre Zivilcourage hat (zumindest Medien-)Geschichte gemacht. Das war beeindruckend. Aber wollen Sie nun wirklich für eine Selbstverständlichkeit eine Auszeichnung entgegen nehmen?
Konterkariert nicht die Annahme dieses Preises Ihre seinerzeit mutige Reaktion? Zeigen Sie Zivilcourage und lehnen Sie diesen Contra-Preis ab.
Aber dieser Aufforderung bedürfen Sie wahrscheinlich ohnehin nicht, weil Sie zu den Wenigen gehören, die auch ohne Ermahnung wissen, was notwendig ist. Oder?

Herzlich Ihr mauerdemonstrant

Letzte Info (18.02.2011):
Margot Käßmann hat die Annahme des Preises abgelehnt. Also doch: Zivilcourage!