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Archive for September 2011

Offener Brief: Heiliger Vater

22. September 2011 3 Kommentare

Heiliger Vater,

vor 29 Jahren waren wir, mein ältester Sohn und ich, in der Münchener Frauenkirche, als Eure Heiligkeit von der Isar-Metropole und dem von Euch geliebten Bayern Abschied nahm, um dem Ruf nach Rom zu folgen. Beim Auszug aus der Kirche blieben Sie auch vor meinem Sohn stehen, legten dem damals Zehnjährigen die Hand auf und segneten ihn.
Uns hat diese Begegnung sehr bewegt und meinem Sohn sagte ich damals: Dies ist der nächste Papst. Das war 1982, und bei Ihrem ersten Besuch als Papst in Deutschland stand ich vor dem Dom in Regensburg, um Anteil an Ihrem Besuch zu nehmen.

Trauer am Kaiserdamm, wo Guiseppe starb


Nun wohne ich (wieder) in Berlin, und Sie besuchen diese Stadt. Diesmal werde ich nicht am Straßenrand stehen. Warum?
Troy Davis ist tot. Er wurde trotz vieler Proteste hingerichtet. Auch Sie haben protestiert, aber reicht das in unserer Zeit, um Zeichen zu setzen? Wäre es nicht ein Signal gewesen, als Papst in der Stunde des Todes vor dem Gefängnis, vor dem Hinrichtungsort aufzutreten? Wäre diese Botschaft nicht überzeugender gewesen, als tausende noch so gut formulierte Appelle?

Mahnung: Berlin braucht l(i)ebende Menschen...

Gewiss, auch Eure Heiligkeit kann nicht an jedem Ort dieser Erde, bei jedem menschlichen Drama anwesend sein. Aber er kann und er m u s s Zeichen setzen, damit die Botschaft wieder lebendig, wieder vermittelbar wird.
Vor wenigen Tagen wurde hier mitten in Berlin der dreiundzwanzigjährige Giuseppe M. Opfer einer Hetzjagd durch zwei, drei vermutlich gewaltbereite Menschen. Mitten auf dem Kaiserdamm haben viele hundert Menschen ihrer Trauer und Verzweiflung Ausdruck verliehen, Blumen und Kerzen aufgestellt. Und Bilder, die an das junge, nun ausgelöschte Leben erinnern. Sie werden an diesem Ort nicht vorbeikommen, nicht anhalten, keinen Segen erteilen. Weil Sie vermutlich über diesen sinnlosen Tod gar nicht informiert wurden, die Organisatoren kein Interesse daran haben, Eure Heiligkeit an diesen Ort zu führen. Berlin soll glänzen, da passen die harten Wirklichkeiten nicht in ein strahlendes Besuchsprogramm.

Trotzdem, es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, gegen Gewalt, für die bedingungslose Liebe zu allen Menschen, für die Christus stand, für die auch die Kirche stehen will. Dieses Zeichen bleibt wieder aus, wie bei Troy Davis. Darum werde ich diesmal nicht an Ihrer Wegstrecke stehen, sondern am Blumen- und Lichter-Mahnmal für einen jungen, so sinnlos ums Leben gestorbenen Menschen. Mitten auf dem Kaiserdamm in Berlin-Charlottenburg.

Mit sehr traurigen Grüßen
Ein Protestant

P.S.: Dier Beisetzung von Guiseppe Marcone findet am 7.10.2011 um 9:30 Uhr
auf dem Waldfriedhof Dahlem (Hüttenweg / Näher Clayallee) statt.

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Reformer braucht das Land

Gedanken zur Wahl in Meck-Pomm

Berlin/Schwerin, 04.09.2011 – Im Grunde nichts Neues: Die Ministerpräsidentenpartei legt zu, die SPD-Nachahmer-Partei UNION verzeichnet Verluste, DIE LINKE konnte sich von den Stalinisten in den eigenen Reihen absetzen und ihr Ergebnis behaupten. Die GRÜNEN bekommen endlich die Belohnung für die brave Anpassung an den Chor der etablierten Parteien und haben die letzte Landesbastion erobert, die FDP schlingert allmählich in die Bedeutungslosigkeit und die rechte NPD, alles andere als liberal, leckt ihre durch die einheitliche Ablehnung der anderen Parteien zugefügten Wunden und freut sich über die Verteidigung ihrer Landtags-Präsenz.
Die Kommentare der Parteien sind austauschbar, könnten ohne viel Aufwand auch in vierzehn Tagen in Berlin verwandt werden, das erspart Personal und liesse sich vielfach über Konserven einspielen. Also alles wie gehabt?

Langweilige Politiker-Runden durch Talks der Wähler ersetzen

Mauerdemonstrant meint, dieses Land braucht dringend Reformen. Die Medien könnten damit beginnen und – vielleicht schon in Berlin – statt der langweiligen Partei- und Funktionärsrunden Talk-Runden mit Wählern senden. Denn die Wähler ermöglichen den Parteien erst ihre Pfründe, Positionen und letztlich ihr Dasein. Und die Wähler sind es wieder einmal, die Warnsignale an die Politik senden: Nur 52%, also gerade einmal die Hälfte der Wahlberechtigten, beteiligte sich am Urnengang in einem Land, für das „Wahl“ noch vor 22 Jahren ein Fremdwort war. Die Verdrossenheit der Bürger nimmt also zu. Und da es derzeit kein anderes Mittel gibt, den Protest auszudrücken, flüchten immer mehr Menschen in die Wahlenthaltung. Die Politik, damit sind natürlich die Parteien gemeint, ignoriert bislang diesen Protest und sie wird es weiter tun. Warum?

Weil die Parteien reformresistent geworden sind. Wahlenthaltungen schmälern die gewohnte Sitz- und Postenverteilung nicht, verschaffen im Gegenteil zumindest kleineren Parteien überproportionale prozentuale Anteile – siehe (diesmal) NPD. Ließe sich das ändern?

Sitzverteilung im Parlament an Wahlbeteiligung orientieren

Mauerdemonstrant meint JA. Er sehnt sich nach einer Partei, die nicht nur Reformen verspricht, sondern diese auch ernsthaft da durchsetzt, wo diese greifen. Um ein Beispiel zu nennen: Grundsätzlich sollten nur soviel Sitze in einem Parlament vergeben oder zugeteilt werden, wie dies dem tatsächlichen Wahlverhalten entspricht. Wenn sich also nur 52% der Wähler an einer Wahl beteiligen, dürfen auch nur 52% der vorgesehenen Sitze an die Parteien vergeben werden. Das würde dem Steuerzahler einmal viel Geld ersparen und die Parteien zum anderen zwingen, sich andere Wege und neue Programme einfallen zu lassen, um die Wähler wieder nachhaltig vom in einer Demokratie notwendigen Urnengang zu überzeugen.

Aber Gemach: Am Beispiel der GRÜNEN wie auch der LINKEn (oder anderer) lässt sich klar die Einbindung in das etablierte Parteiensystem verfolgen. Als Reform-Parteien angetreten (dieser Nimbus wird ja auf den Wahlplakaten fleißig gepflegt), haben sie sich längst in die Vorteile sogenannter staatstragender Parteien eingelullt. Um nicht diese endlich errungenen Privilegien, wie staatlich finanzierte Parteistiftungen und und und aufs Spiel zu setzen, singt man im Chor der Etablierten mit.

An die Töpfe wollen sie alle

Vielleicht haben die PIRATEN ja noch etwas im Köcher und kratzen an der Selbstherrlichkeit dieser Parteien, indem sie nicht nur Reformen fordern, sondern diesen treu bleiben, um sie eines Tages durchzusetzen. Aber das sind Träume eines überzeugten Demokraten, der mehr als einmal erleben mußte, wie neu gegründete Parteien alles Mögliche auf ihr Panier schrieben, nur nicht die Einschränkung möglicher Privilegien. Denn an die Töpfe wollen sie alle. Und das ungeschmälert von romantischen Reformvorstellungen.

http://www.focus.de/politik/videos/cyber-wahlkampf-in-berlin-dialog-mit-dem-waehler-unerwuenscht_vid_26271.html