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30 Jahre „Lebendige Brücke“ am Checkpoint Charlie: „Lasst uns wieder Brücken bauen“
Berlin, 20.07.2019 – Vor 30 Jahren, am 13. August 1989, habe ich mich über die „Weiße Grenzlinie“ am berühmten Checkpoint Charlie in Berlin gelegt. Drei Stunden dauerte diese als „Lebendige Brücke“ bezeichnete Demonstration, weil sich US-Amerikaner und Sowjets erst über die Zuständigkeit einigen mussten. Ich lag zur Hälfte („Mit Kopf und Herz“) im Sowjetischen Sektor und („Mit Beinen und Füßen“) im US-Amerikanischen Sektor.
Aus aktuellem Anlass werde ich an diese letzte Mauerdemonstration vor dem Fall der Mauer am 12. August 2019, ab 11:00 Uhr, am Checkpoint Charlie erinnern. Gleichzeitig beende ich damit meine aktive Aktionszeit im Alter von nunmehr 75 Jahren, während der ich zwischen 1961 und 1989 mit zahlreichen Hungerstreiks und Demonstrationen gegen die Mauer demonstriert habe. Ich begründe die aktuelle Demonstration zum 30. Jahrestag wie folgt:
„Mich beunruhigt die sich verstärkende Auseinandersetzung und vielfach provokante Gegensätzlichkeit zwischen Ost und West. Wir sollten uns gerade im 30. Jahr des Mauerfalls daran erinnern, dass wir über Jahrzehnte hinweg die historische Brückenfunktion zwischen beiden Teilen unseres Landes besonders hier in Berlin bewahrt und verteidigt haben. Diese Brückenfunktion verhalf uns schließlich über ein unvergessenes Meer von Tränen und vielfachen schweren Schicksalsschlägen, die oft Leib und Leben forderten, die als unüberwindlich geltende Mauer aus Beton und Stacheldraht zu überwinden. Der schließliche Fall der Mauer war ein Ergebnis dieses Zusammenhaltes, des gemeinsamen Kampfes von Menschen in Ost und West. Lasst uns diese Brückenfunktion wieder beleben. Lasst uns gemeinsam gegen die unsägliche Belebung überwunden geglaubter Gegensätze aus einem geteilten Land antreten. Wir sollten das WIR an die Stelle oft hasserfüllter „Die-da-drüben-Sätze“ oder der Begriffe „Ossis und Wessis“ stellen. Lasst uns wieder Brücken bauen. Lebendige Brücken, damit wir nicht an den toten Floskeln einer untergegangenen Zeit ersticken und neue Mauern errichten oder gar verteidigen. Wir – unser Land – haben nach dem unvergessenen Glück des 9. November 1989 Besseres verdient!“
Zur Person:
Ich wurde 1944 geboren und wuchs im geteilten Berlin auf. Schön sehr früh interessierte ich mich für die jüngste Geschichte, besonders für den Widerstand gegen das NS-Regime durch Stauffenberg & Co. Für mich stand das „Nie wieder“ damit schon sehr früh fest. Die tiefen Eindrücke vom Volksaufstand in Ungarn (1956) politisierten mich als 12jährigen. Mit 14 Jahren schrieb ich ein 60 Artikel umfassendes Deutschland-Papier, in dem die Lösung der deutschen Frage unter internationaler Beteiligung beschrieben wurde.
Nach dem Mauerbau demonstrierte ich permanent bis zum Fall der Mauer gegen dieses „Bauwerk der Unmenschlichkeit“. 1963 trat ich der Vereinigung 17. Juni 1953 bei, deren Vorsitzender ich von 2002 bis 2019 war. Nach mehreren Hungerstreiks an der Mauer wurde ich 1965 anlässlich einer (dritten) Demonstration „für den Fluchthelfer Harry Seidel und die Freilassung von 14.000 politischen Gefangenen in der SbZ“ (Sowjetisch besetzte Zone) am Checkpoint Charlie verhaftet und 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch Bundeskanzler Ludwig Ehrhardt unterschrieb seinerzeit am 1. Mai 1966 in Berlin eine Petition zur Freilassung.
Nach dem Freikauf durch die Bundesregierung setzte ich meine Proteste gegen die Mauer fort. Ich folgte damit einem Schwur, den ich 1961 vor der zugemauerten Versöhnungskirche als 17jähriger abgelegt hatte: Nicht zu ruhen und zu rasten, bis dieses Bauwerk der Unmenschlichkeit fallen wird oder ich selbst nicht mehr lebe.
Nachdem ich aufmerksam die besonders 1989 vermerkten Unruhen in der DDR verfolgt hatte, wollte ich zum 28. Jahrestag des Mauerbaus „ein Zeichen der Verbundenheit und Ermutigung“ für die Menschen in der DDR geben und entschloss mich zu der viel beachteten Demonstration „Lebendige Brücke“ am Checkpoint Charlie am 13. August 1989 (siehe auch: „Der Mann vom Checkpoint Charlie“, https://www.youtube.com/watch?v=Dtzixl1KRNU).
Brust und Kopf im Ostteil so11ten belegen, dass die Deutschen in Ost-Berlin und der DDR mit Kopf und Herz in ihrer unmittelbaren Heimat verwurzelt sind, „aber sich durch staatsterroristische Wil1kür veranlasst sehen, aus ihrer unmittelbaren Heimat zu flüchten“. Die Beine und Füße im Westen sollten das verbürgte Menschenrecht symbolisieren, selbst über sein Ziel entscheiden und dahin gehen zu können, wohin man wolle.
Nachdem sich die Alliierten nach über drei Stunden über die Zuständigkeiten geeinigt hatten, wurde ich auf Anweisung der Amerikaner von der West-Berliner Polizei von dem Grenzstrich „entfernt“ und in einem Polizeifahrzeug zur nächsten Inspektion gefahren. Ein noch am selben Tag beantragter Haftbefehl „zur Vermeidung weiterer Demonstrationen am Checkpoint Charlie“ wurde von der damals diensthabenden Richterin abgelehnt.
Bitte beachten Sie die Sperrfrist: 20.07.2019, vielen Dank!
Carl-Wolfgang Holzapfel
Pestalozzistr.26
10627 Berlin
Mobil: 0176-48061953