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Archive for the ‘2013’ Category

Einwurf: Heuchler, Hehler und Bushido

Berlin, 16.07.2013 – Was haben Bushido und die NSA gemeinsam? Über beide regen sich vornehmlich Politiker auf, die andernorts schweigen, obwohl sie ebenfalls bestens informiert sind.
Nehmen wir Bushido. Man könnte ihn auch abkürzen mit „Bu(ll)shi(t)“, denn was er produziert, verdient oft keine andere Bezeichnung. Aber diese Abkürzung bleibt versagt, man will sich ja konform verhalten und nicht des Rassismus durch jene Politiker und Medien beschuldigt werden, die sich jetzt so über den geifernden Rapper ereifern. Aber warum dieses plötzliche Geifern gegen einen aus dem Ruder laufenden musikalischen Marktschreier, den man sonst für eine skurrile Erscheinung der Szene hält? Dass der Regierende Bürgermeister jetzt Strafanzeige erstattet und sich eigentlich damit gegen die eigene Wort-Kreativität stellt („Berlin ist arm, aber sexy.“ Oder „Ich bin schwul und das ist gut so.“) ist wohl eher dem Sommerloch oder dem versuchten hechelnden Sprung auf die angelaufene Medienhype zu verdanken, als wohl einem Rechtsschutzbedürfnis oder gar sachlicher Empörung.
Jedenfalls ist von Klaus Wowereit nicht bekannt, das er sich schon einmal über den als „Ayatollah aus Neustadt“ benannten Wanderprediger und Vorsitzenden eines SED-Opferverbandes empört hätte. Zwar hat dieser noch nicht so billig gehetzt, wie Bushido, der gekotzt hat: „Du wirst in Berlin in deinen A…. ge….. wie Wowereit“; diese Form der Primitivität käme dem Prediger niemals über die Lippen. Der zieht, natürlich theologisch „untermauert“, lieber über die Knechte Satans her, in die er auch schon mal die Juden einbezieht, oder – sich wesentlich seriöser als Bushido gebend – über die Homosexualität:

Wenn unsere Kirche homosexuelle Lebensweise akzeptiert, macht sie sich an ihrem Auftrag, Sünder zur Umkehr zu rufen, schuldig. Gleichzeitig versündigt sich eine solche Kirche an den homosexuellen Menschen selbst, da sie ihnen die Botschaft der Umkehr schuldig bleibt. Wenn unsere Kirche homosexuelle Lebensweise akzeptiert, macht sie sich an der inneren Einheit der Weltchristenheit schuldig.“ (Rainer Wagner in „Erneuerung und Abwehr“/2004, Herausgeber: Vorstand der Evangelischen Notgemeinschaft).

Ob sich der Autor dieses flammenden Protestes, hauptberuflicher Missionar und nebenberuflicher UOKG-Vorsitzender, selbst versündigt, wenn er sich mit stolzgeschwellter Brust neben dem so gescholtenen Klaus Wowereit ablichten oder gar von diesem Festivitäten für die UOKG ausrichten lässt, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass sich weder Klaus Wowereit noch andere jetzt empörte Politiker oder gar Medien über diese Form verbreiteter Homophobie oder gar Religionshetze („Juden etc. sind Knechte Satans“) geäußert haben. Auch Schweigen kann Hehlerei bedeuten.

Das erinnert Mauerdemonstrant an die Empörung über die NSA. Man weiß als Politiker seit Jahrzehnten über die Fortsetzung der „Vorbehalte“ durch die (einstigen) Alliierten z.B. im Zwei-Plus-Vier-Vertrag Bescheid und empört sich jetzt über die Auswirkungen: „Ja, hat denn die Bundeskanzlerin den Schutz unserer Interessen noch im Griff?“ Gemach, es ist Wahlk(r)ampf. Da fragen die Empörer nicht nach, was sie zum Schutz „unserer Interessen“ während ihrer Regierungszeit unternommen haben. Und nach der Wahl wendet man sich eh anderen Themen zu.

So bleibt unter dem Strich viel Lärm um Nichts. Es sei denn, man gehört zu den Bürgern, die diesen Lärm und gewisse Ausdrucksformen schon immer verachtet haben. Diese Bürger haben Verständnis für die Empörung über den verbreiteten Bullshit, ob von Bushido oder einem Ayatollah. Und diese Bürger machen keinen Unterschied zwischen den Ausrastern eines Bushido und den gepflegten Formen der Beleidigung eines selbsternannten Ayatollahs. Der kleine, aber entscheidende Unterschied: Das eine lässt sich wie das Thema NSA (einschließlich wohlfeiler Empörung) vermarkten, das andere nicht.
Wenn es aber auf Inhalte n i c h t ankommt, warum empören oder gar mit dem Staatsanwalt drohen? Heuchler aller Parteien, vereinigt Euch.

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Bürger schlafe – die Polizei schläft auch

    Berlin, 27.06.2013/md – Immer wieder appellieren Politiker, Polizei und Medien an den Bürgersinn: Seid wach. Haltet die Augen offen. Wachsamkeit kann keine Verbrechen verhindern, aber einschränken. Und so weiter… Nach den Erlebnissen eines Berliner Ehepaares möchte man eigentlich konstatieren: Bürger schlafe, die Polizei schläft auch. Warum?
    Eine verlassene Bank in Berlin - Foto: Birnbaum

    Eine verlassene Bank in Berlin – Foto: Birnbaum

    Claus Birnbaum (Name geändert) wollte nach dem vielen Regen am Mittwochabend mit seiner Frau noch einen Gang vor die Tür machen. Zuvor schlenderte das Paar zur nahe liegenden Bank. Etwas Geld aus dem Automaten ziehen. In der Bank (wieder einmal) Besuch. Ein Mann, dunkler Teint, ordentlich gekleidet, saß auf der marmornen Fensterbank, wo gelegentlich Obdachlose – besonders im Winter – ihr nächtliches Wärmequartier beziehen. Also nichts ungewöhnliches. Oder doch?

    Nächtliche "Gäste" verunsichern zunehmend Bankkunden. Foto: Birnbaum

    Nächtliche „Gäste“ verunsichern zunehmend Bankkunden.
    Foto: Birnbaum

    Was suchte um diese Zeit (20:40 Uhr) ein recht ordentlich gekleideter Mann in ersichtlicher „Warteposition“ im Vorraum einer Bank? Zumal er nicht den Eindruck von Hilfsbedürftigkeit erweckte? Wurden nicht zur Zeit Banken ausspioniert, Kassenautomaten gesprengt oder aus der Halterung gerissen? Oder könnte gar ein später Bankkunde in Gefahr geraten?

    Das Ehepaar entschloss sich, die Bank über eine gewisse Zeit zu beobachten. Der Mann stand zwischenzeitlich auf, blieb vor einem der drei Geldautomaten stehen (nur der Rücken war zu sehen), setzte sich wieder, blickte auf die Uhr, ging hin und wieder vor die Bank, schaute sich um, ging wieder in die Bank.
    Um 21:15 Uhr entschloss sich Birnbaum (70), selbst gelernter Banker, den Notruf der Polizei anzuwählen. Einer Polizistin schilderte er die Beobachtungen des Ehepaares und meinte, man solle vielleicht einmal nachschauen oder ggf. die Personalien überprüfen. Die Beamtin ließ sich den Ort erklären und versprach, einen Streifenwagen vorbeizuschicken.

    Plastiktüte, kleiner Rucksack - obdachlos? Foto: Birnbaum

    Plastiktüte, kleiner Rucksack – obdachlos?
    Foto: Birnbaum


    22:31 Uhr: Erneuter Anruf unter 110. Ja, man wisse von dem Anruf, eine Streife sei vor Ort gewesen, habe aber nichts bemerkt. Nach dem Hinweis von Birnbaum, er und seine Frau habe keine Streife bemerkt, außerdem habe man ja avisiert, dass der Anrufer angesprochen werden würde, versprach der Polizist, erneut eine Streife vorbei zu schicken.

    22:53 Uhr: Nachdem die beobachtete Person samt kleinem Rucksack, einer Plastiktüte und einem Blumentopf die Bank verlassen und zur Überraschung des Ehepaares ein gegenüberliegende Spiel-Casino betreten hatte – Was suchte ein vorgeblich Obdachloser in einem Casino? – erneuter Anruf unter 110. Ein etwas ungehaltener Beamter bestätigte die vorhergehenden Anrufe und: Man habe eine Zivilstreife vorbeigeschickt, die habe nichts bemerkt. Man könne ja auch nicht einfach Personenkontrollen durchführen, wo kämen wir dahin? Die Schilderung Birnbaums vom Bankwechsel ins Casino fand der Beamte dann auch ungewöhnlich. Nach kurzer Diskussion forderte der nunmehr dritte Polizist das sich inzwischen als „verarscht“ vorkommende Ehepaar auf, vor der Bank zu warten. Nicht ohne sich vorher eine Personenbeschreibung des Ehepaares durchgeben zu lassen, „damit meine Kollege Sie erkennen können.“

    Hinter der Heizung: Keine Bankblume. Foto: Birnbaum

    Hinter der Heizung: Keine Bankblume.
    Foto: Birnbaum


    23:36 Uhr: Die beobachtete Person war inzwischen aus dem Spiel-Casino vor die Tür getreten, hatte eine Zigarette geraucht und sich, wie zuvor vor dem Geldinstitut, nach links und rechts umgeschaut, ehe sie wieder im Casino verschwand. Erneuerter Anruf unter 110.
    Verärgert schildert Birnbaum die Situation vor Ort. Erneut werden seine Vorhaltungen durch einen vierten(!) Beamten damit beantwortet, man habe jeweils nach den Anrufen die Situation vor Ort geprüft und – nichts bemerkt. Ärgerlich wies Birnbaum darauf hin, dass zwar Streifenwagen kurz vor der Bank-Kreuzung abgebogen und in verschiedenen Richtungen davongefahren seien, vor der Bank hätte aber kein Fahrzeug gehalten. Außerdem sei es eine Zumutung, einen Anrufer zum Verbleib „vor Ort“ aufzufordern, um dann gar nicht vor Ort zu erscheinen. Das hätte man ihm doch gleich beim ersten Anruf vermitteln können. Außerdem hätte man ihn, Birnbaum, ja auch rückrufen können. Er mache das ganze ja nicht aus Jux und Dollerei. Der Beamte ließ sich erneut den Vorgang (inzwischen die Vorgänge) schildern und versprach, die Sache „anzuleiern“. Birnbaum solle mit seiner Frau vor der Bank warten und der Polizei vor Ort ihre Beobachtungen schildern.

    24:08 Uhr: Leicht durchfroren macht sich das Ehepaar, zwischenzeitlich von einer aufmerksamen Radfahrerin beim Warten unterstützt, auf den Heimweg. Man hatte beschlossen, als Bürger den Schlaf zu suchen, nachdem die Polizei sich offensichtlich auch dafür entschieden hatte. Der Versuch, die vielfach beklagte Mauer zwischen Ordnungshütern und Bürgern durchbrechen zu können, scheiterte ein weiteres Mal. Ob sich die triumphal verkündeten Neueinstellungen von insgesamt 190 Feuerwehr- und Polizeibeamten auf die wünschenswerte, zumindest zu erwartende Sorgfalt auswirken werden, bleibt abzuwarten.

    V.i.S.d.P.: mauerdemonstrant, Tel.: 0176-48061953