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Archive for the ‘Begegnungen’ Category

Weisheit aus der Türkei

„Wer einen Freund sucht
ohne Fehler,
bleibt ohne Freund.“

Am 23.03.2018 in einem Türkischen Cafe
in Berlin-Wedding entdeckt.

Kategorien:2018, Begegnungen, Lyrik

Bürger schlafe – die Polizei schläft auch

    Berlin, 27.06.2013/md – Immer wieder appellieren Politiker, Polizei und Medien an den Bürgersinn: Seid wach. Haltet die Augen offen. Wachsamkeit kann keine Verbrechen verhindern, aber einschränken. Und so weiter… Nach den Erlebnissen eines Berliner Ehepaares möchte man eigentlich konstatieren: Bürger schlafe, die Polizei schläft auch. Warum?
    Eine verlassene Bank in Berlin - Foto: Birnbaum

    Eine verlassene Bank in Berlin – Foto: Birnbaum

    Claus Birnbaum (Name geändert) wollte nach dem vielen Regen am Mittwochabend mit seiner Frau noch einen Gang vor die Tür machen. Zuvor schlenderte das Paar zur nahe liegenden Bank. Etwas Geld aus dem Automaten ziehen. In der Bank (wieder einmal) Besuch. Ein Mann, dunkler Teint, ordentlich gekleidet, saß auf der marmornen Fensterbank, wo gelegentlich Obdachlose – besonders im Winter – ihr nächtliches Wärmequartier beziehen. Also nichts ungewöhnliches. Oder doch?

    Nächtliche "Gäste" verunsichern zunehmend Bankkunden. Foto: Birnbaum

    Nächtliche „Gäste“ verunsichern zunehmend Bankkunden.
    Foto: Birnbaum

    Was suchte um diese Zeit (20:40 Uhr) ein recht ordentlich gekleideter Mann in ersichtlicher „Warteposition“ im Vorraum einer Bank? Zumal er nicht den Eindruck von Hilfsbedürftigkeit erweckte? Wurden nicht zur Zeit Banken ausspioniert, Kassenautomaten gesprengt oder aus der Halterung gerissen? Oder könnte gar ein später Bankkunde in Gefahr geraten?

    Das Ehepaar entschloss sich, die Bank über eine gewisse Zeit zu beobachten. Der Mann stand zwischenzeitlich auf, blieb vor einem der drei Geldautomaten stehen (nur der Rücken war zu sehen), setzte sich wieder, blickte auf die Uhr, ging hin und wieder vor die Bank, schaute sich um, ging wieder in die Bank.
    Um 21:15 Uhr entschloss sich Birnbaum (70), selbst gelernter Banker, den Notruf der Polizei anzuwählen. Einer Polizistin schilderte er die Beobachtungen des Ehepaares und meinte, man solle vielleicht einmal nachschauen oder ggf. die Personalien überprüfen. Die Beamtin ließ sich den Ort erklären und versprach, einen Streifenwagen vorbeizuschicken.

    Plastiktüte, kleiner Rucksack - obdachlos? Foto: Birnbaum

    Plastiktüte, kleiner Rucksack – obdachlos?
    Foto: Birnbaum


    22:31 Uhr: Erneuter Anruf unter 110. Ja, man wisse von dem Anruf, eine Streife sei vor Ort gewesen, habe aber nichts bemerkt. Nach dem Hinweis von Birnbaum, er und seine Frau habe keine Streife bemerkt, außerdem habe man ja avisiert, dass der Anrufer angesprochen werden würde, versprach der Polizist, erneut eine Streife vorbei zu schicken.

    22:53 Uhr: Nachdem die beobachtete Person samt kleinem Rucksack, einer Plastiktüte und einem Blumentopf die Bank verlassen und zur Überraschung des Ehepaares ein gegenüberliegende Spiel-Casino betreten hatte – Was suchte ein vorgeblich Obdachloser in einem Casino? – erneuter Anruf unter 110. Ein etwas ungehaltener Beamter bestätigte die vorhergehenden Anrufe und: Man habe eine Zivilstreife vorbeigeschickt, die habe nichts bemerkt. Man könne ja auch nicht einfach Personenkontrollen durchführen, wo kämen wir dahin? Die Schilderung Birnbaums vom Bankwechsel ins Casino fand der Beamte dann auch ungewöhnlich. Nach kurzer Diskussion forderte der nunmehr dritte Polizist das sich inzwischen als „verarscht“ vorkommende Ehepaar auf, vor der Bank zu warten. Nicht ohne sich vorher eine Personenbeschreibung des Ehepaares durchgeben zu lassen, „damit meine Kollege Sie erkennen können.“

    Hinter der Heizung: Keine Bankblume. Foto: Birnbaum

    Hinter der Heizung: Keine Bankblume.
    Foto: Birnbaum


    23:36 Uhr: Die beobachtete Person war inzwischen aus dem Spiel-Casino vor die Tür getreten, hatte eine Zigarette geraucht und sich, wie zuvor vor dem Geldinstitut, nach links und rechts umgeschaut, ehe sie wieder im Casino verschwand. Erneuerter Anruf unter 110.
    Verärgert schildert Birnbaum die Situation vor Ort. Erneut werden seine Vorhaltungen durch einen vierten(!) Beamten damit beantwortet, man habe jeweils nach den Anrufen die Situation vor Ort geprüft und – nichts bemerkt. Ärgerlich wies Birnbaum darauf hin, dass zwar Streifenwagen kurz vor der Bank-Kreuzung abgebogen und in verschiedenen Richtungen davongefahren seien, vor der Bank hätte aber kein Fahrzeug gehalten. Außerdem sei es eine Zumutung, einen Anrufer zum Verbleib „vor Ort“ aufzufordern, um dann gar nicht vor Ort zu erscheinen. Das hätte man ihm doch gleich beim ersten Anruf vermitteln können. Außerdem hätte man ihn, Birnbaum, ja auch rückrufen können. Er mache das ganze ja nicht aus Jux und Dollerei. Der Beamte ließ sich erneut den Vorgang (inzwischen die Vorgänge) schildern und versprach, die Sache „anzuleiern“. Birnbaum solle mit seiner Frau vor der Bank warten und der Polizei vor Ort ihre Beobachtungen schildern.

    24:08 Uhr: Leicht durchfroren macht sich das Ehepaar, zwischenzeitlich von einer aufmerksamen Radfahrerin beim Warten unterstützt, auf den Heimweg. Man hatte beschlossen, als Bürger den Schlaf zu suchen, nachdem die Polizei sich offensichtlich auch dafür entschieden hatte. Der Versuch, die vielfach beklagte Mauer zwischen Ordnungshütern und Bürgern durchbrechen zu können, scheiterte ein weiteres Mal. Ob sich die triumphal verkündeten Neueinstellungen von insgesamt 190 Feuerwehr- und Polizeibeamten auf die wünschenswerte, zumindest zu erwartende Sorgfalt auswirken werden, bleibt abzuwarten.

    V.i.S.d.P.: mauerdemonstrant, Tel.: 0176-48061953

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Ein Mord, der Extremisten vermutlich jubeln lässt

Berlin, 6.06.2012/cw – Sechs Kinder im Alter von einem bis 13 Jahren mussten zusehen, wie der eigene Vater die erneut schwangere Mutter geradezu viehisch hinrichtete: Nachdem diese ermordet worden war, zerstückelte er die Leiche, warf den abgetrennten Kopf und weitere Teile über die Terrassenabsperrung in den Hof. Entsetzte und fassungslose Nachbarn mussten diesem beispiellosen Geschehen hilflos zusehen, bis die alarmierte Polizei eintraf.

Eine Mutter, die sich offenbar für ihre Kinder opferte

Wer zwei Tage später den Hof betritt, trifft auf einen Platz, auf dem unzählige Teelichter zwischen zahlreichen Blumen platziert stehen. Fotos der ermordeten Frau stehen säuberlich aufgestapelt an der Wand, Zeugnis der am Abend zuvor durchgeführten demonstrativen Mahnwache einer Kurdischen Frauen-Initiative und eines türkischen Vereins aus Neukölln, der sich gegen die Gewalt türkischer Männer an den Frauen richtet. Immer wieder treten Menschen, junge und alte, Frauen, Männer, Kinder an den Blumen-Torso, halten erschüttert inne, legen oder werfen eine Blume, eine Rose in das Blumenfeld, wenden sich mit leerem Blick und Tränen in den Augen ab.

Teelichter zwischen Blumentorsos


Der erschütterte Besucher blickt zunächst nach oben auf die Absperrung, die die Terrasse begrenzt, von der die Teile einer Mutter in den Abgrund geschleudert wurden. Drei riesige TV-Antennen sind zu sehen, Reste der polizeilichen Absperrung aus rot-weißer Kunststoff-Folie. Unwillkürlich sucht man nach Spuren, die dieses Verbrechen erklären, fassbar machen können. Das Namensschild am schmutzig wirkenden Hauseingang „Mordhorst“ ist zwar zufällig, löst aber unwillkürlich Schauer aus. Die Realität holt jede Phantasie eines Schriftstellers oder Drehbuchautoren ein.

Blumen kennzeichnen den Ort, wo zerstückelte Teile einer Mutter aufprallten


An den Wänden zahlreiche Schriften, hingesprayte Ausbrüche unbewältigter Gefühlsstürme, auch Ausdruck gescheiterter Integration: „I hate (Ich hasse)“. Zerbrochene Fensterscheiben, über denen wie zum Hohn eine Info über die regelmäßig durchgeführte Hausreinigung angeklebt hängt. Ein anderes Fensterloch wurde einfach zugemauert, brutale Lösungen sozialer Konfliktfolgen in einer Stadt, die wahrlich von abschottenden und ausgrenzenden Mauern alle Zeit genug haben dürfte. Es bleibt nach diesem Hofgang der ernüchternde Eindruck, dass auch dieser Mord keinen namhaften Politiker dazu bewegen wird, sich in dieses Reservat einer sich brutal entwickelnden Gegenkultur zu begeben oder gar tatkräftig an Lösungen zu arbeiten. Der nächste Wahlkampf steht erst in über vier Jahren an, da reicht es wohl, in geübter Manier den Medien gegenüber wohlfeile Statements über die „Erschütterung“ und „das sich endlich etwas ändern müsse“ abzugeben.

Hass, wo Liebe und Zuwendung abwesend sind


Es ist ja richtig, die Kinder sind in einer für bürokratische Verhältnisse beispiellos schnellen Reaktion gemeinschaftlich in einem Kinderheim untergekommen. Beruhigt? Wohl eher nicht. Wo bleiben die zahlreichen Institutionen und Stiftungen oder auch kinderlose Elternpaare, die ebenso unbürokratisch eine psychosomatische Betreuung, eine langzeitige „Erholung“ von diesem beispiellosen Trauma ermöglichen oder gar die Patenschaft übernehmen?

Zumauern von Konflikten?


Allenthalben beklagen wir das Vorhandensein von Extremismen in unserer Gesellschaft, wobei wir besonders die rassistisch anmutenden und vielfach real vorhandenen Fremdenfeindlichkeiten von Neo-Nationalsozialisten zu Recht anprangern. Aber handelt die Gesellschaft entschlossen genug, diesem Treiben wirksam zu begegnen? Wäre nicht die klare und unmissverständliche soziale Reaktion auf dieses fürchterliche Verbrechen die beste Antwort, die wirksamste Vorsorge gegen diese Formen des politischen Kannibalismus? Der in diesen Fällen übliche Verbalismus, die rhetorische Verurteilung ohne folgerichtige Konsequenz durch die Verantwortlichen bereiten erst den Boden für derartige extremistische Exzesse, zunächst ebenfalls verbal, um dann womöglich blutig umgesetzt zu werden (NSU-Morde).

Ein Hilfeschrei der Initiative Kurdischer Frauen


Man hört es buchstäblich in den Ohren klingeln, braucht nicht selbst Ohrenzeuge zu sein, um den heimlichen Jubel von in diesem Fall rechten Extremisten über derartige „Islamisten- oder Türken-Morde“ zu vernehmen. Sind doch solche fürchterlichen Geschehnisse Wasser auf die Mühlen derer, für die Begriffe wie „Mitmenschlichkeit“, „soziale Kompetenz“ oder gar „humanitäre Gemeinsamkeit zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft“ Fremdworte sind, derartige Verbrechen Beleg für die „Unvereinbarkeit unterschiedlicher Rassen und Kulturen“ sind.

Nur zerbrochene Fensterscheiben?


In der Tat hat unsere Gesellschaft einen unverkennbaren Nachholbedarf in Sachen Integration. Wir haben uns in der Vergangenheit darauf beschränkt, alle Kulturen dieser Welt in diese Stadt, in unser Land einzuladen, ohne jemals ernsthaft über Konsequenzen auch nur ansatzweise zu diskutieren oder gar Programme zu entwickeln, die den Namen Integration auch verdienen.. Wir haben geglaubt und glauben bis heute, dass die einhellige Verurteilung extremistischen Gedankengutes als Beleg unserer Gutwilligkeit ausreichend erscheint. Und wir geben jedes Jahr Millionen dafür aus, das Extremisten auf der linken Seite ihre Parolen „gegen Rechts“ ausreichend finanzieren können. So klopfen wir uns seit mittlerweile Jahrzehnten auf die eigene Brust: Seht her, was wir gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus tun (und finanzieren). In diesem Konglomerat von Selbstzufriedenheit und Verdrängung („Lasst es regnen, macht uns aber nicht nass!“) bleibt die Glaubwürdigkeit auf der Strecke, werden die Integrations-Probleme nicht weniger, sondern drängender, werden sich derartige Exzesse, wie der jüngste in Kreuzberg sich häufen, werden Extremisten beglückt ob dieser Vorlagen in die Lücken dieser Glaubwürdigkeit springen und durch „eigene Glaubwürdigkeiten“ ersetzen.

Trostlosigkeit schon am Hauseingang…


Nein, es reicht nicht aus, indirekt Antisemitismus und Rassismus als Plattform zu pflegen, um die eigene Daseinsberechtigung nachzuweisen. Wir müssen Programme für eine umsetzbare Integration entwickeln, die vor Ort ihre sozial-politische Wirkung entfalten. Das ist freilich kostspieliger, als die Finanzierung leerer Propaganda-Sprüche, aber wesentlich nachhaltiger. Freilich ginge das nur um den Preis, möglicherweise eines Tages (und hoffentlich) ein gewohntes Feindbild zu verlieren, weil dann „Rassismus“ und „Fremdenhass“ zu Fremdwörtern geworden sein werden.

Na und? Diese dann zu Worthülsen verkommenen, heute noch so „Millionen-teuren“ Begriffe wären mir als historische Fußnoten am Liebsten. Bis dahin gibt es allerdings noch viel zu tun. Fangen wir an. Fassbar und konkret mit der praktischen Fürsorge für die traumatisierten Kinder einer fürchterlichen und beispiellosen Tat in Kreuzberg.

V.i.S.d.P.: mauerdemonstrant, Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953
Fotos © 2012: LyrAg

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Offener Brief: Heiliger Vater

22. September 2011 3 Kommentare

Heiliger Vater,

vor 29 Jahren waren wir, mein ältester Sohn und ich, in der Münchener Frauenkirche, als Eure Heiligkeit von der Isar-Metropole und dem von Euch geliebten Bayern Abschied nahm, um dem Ruf nach Rom zu folgen. Beim Auszug aus der Kirche blieben Sie auch vor meinem Sohn stehen, legten dem damals Zehnjährigen die Hand auf und segneten ihn.
Uns hat diese Begegnung sehr bewegt und meinem Sohn sagte ich damals: Dies ist der nächste Papst. Das war 1982, und bei Ihrem ersten Besuch als Papst in Deutschland stand ich vor dem Dom in Regensburg, um Anteil an Ihrem Besuch zu nehmen.

Trauer am Kaiserdamm, wo Guiseppe starb


Nun wohne ich (wieder) in Berlin, und Sie besuchen diese Stadt. Diesmal werde ich nicht am Straßenrand stehen. Warum?
Troy Davis ist tot. Er wurde trotz vieler Proteste hingerichtet. Auch Sie haben protestiert, aber reicht das in unserer Zeit, um Zeichen zu setzen? Wäre es nicht ein Signal gewesen, als Papst in der Stunde des Todes vor dem Gefängnis, vor dem Hinrichtungsort aufzutreten? Wäre diese Botschaft nicht überzeugender gewesen, als tausende noch so gut formulierte Appelle?

Mahnung: Berlin braucht l(i)ebende Menschen...

Gewiss, auch Eure Heiligkeit kann nicht an jedem Ort dieser Erde, bei jedem menschlichen Drama anwesend sein. Aber er kann und er m u s s Zeichen setzen, damit die Botschaft wieder lebendig, wieder vermittelbar wird.
Vor wenigen Tagen wurde hier mitten in Berlin der dreiundzwanzigjährige Giuseppe M. Opfer einer Hetzjagd durch zwei, drei vermutlich gewaltbereite Menschen. Mitten auf dem Kaiserdamm haben viele hundert Menschen ihrer Trauer und Verzweiflung Ausdruck verliehen, Blumen und Kerzen aufgestellt. Und Bilder, die an das junge, nun ausgelöschte Leben erinnern. Sie werden an diesem Ort nicht vorbeikommen, nicht anhalten, keinen Segen erteilen. Weil Sie vermutlich über diesen sinnlosen Tod gar nicht informiert wurden, die Organisatoren kein Interesse daran haben, Eure Heiligkeit an diesen Ort zu führen. Berlin soll glänzen, da passen die harten Wirklichkeiten nicht in ein strahlendes Besuchsprogramm.

Trotzdem, es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, gegen Gewalt, für die bedingungslose Liebe zu allen Menschen, für die Christus stand, für die auch die Kirche stehen will. Dieses Zeichen bleibt wieder aus, wie bei Troy Davis. Darum werde ich diesmal nicht an Ihrer Wegstrecke stehen, sondern am Blumen- und Lichter-Mahnmal für einen jungen, so sinnlos ums Leben gestorbenen Menschen. Mitten auf dem Kaiserdamm in Berlin-Charlottenburg.

Mit sehr traurigen Grüßen
Ein Protestant

P.S.: Dier Beisetzung von Guiseppe Marcone findet am 7.10.2011 um 9:30 Uhr
auf dem Waldfriedhof Dahlem (Hüttenweg / Näher Clayallee) statt.

Bis dass der Tod Euch scheidet… oder: Wie Mauern entstehen

10. August 2011 1 Kommentar

Berlin, 10.08.2011 – Fast auf den Tag, 20 Jahre nach der feierlichen Trauung in der Puchheimer Kirche am 27. September 1991 wurde der Berufung im Scheidungsverfahren statt gegeben, das Urteil der ersten Instanz vom 13.Januar 2010 (Familiengericht München) in Sachen Versorgungsausgleich aufgehoben.
1975 hatten wir uns kennen- und lieben gelernt. 1976 fügten wir uns in unser Schicksal, ich war verheiratet, hatte drei Kinder. Erst nachdem ich mich getrennt hatte, 1986, fragte sie sich 1988 durch – und die Liebe blühte wieder auf.
Wenn zwei Menschen auseinandergehen hat das immer etwas auch mit Scheitern zu tun. Träume zerrinnen, ehedem gute Vorsätze blieben irgendwann einmal auf der Strecke. Und der Wille, einander treu zu bleiben – in guten wie in schlechten Tagen – scheiterte an der harten Realität des Alltags.

Getrennte Zukunft ...


Trotzdem wird eine Trennung viel zu oft zu einer wirklichen Tragödie, wird Liebe oftmals in Hass verwandelt: Auf die Welt, auf den einst geliebten Menschen, auf sich selbst…
Heute, sechs Jahre nach der Trennung, ist das bei mir alles überwunden. Ich will die oft mutwillig erscheinenden zugefügten Schmerzen vergessen. Nicht vergessen will ich und werde ich viele Jahre traumhafter Erinnerungen. Sie werden bleiben.
Und nicht vergessen werde ich, dass nur durch den tief empfundenen Schmerz der Trennung erst die Begegnung mit einem wundervollen Menschen möglich wurde, den ich sonst niemals bemerkt hätte. Das wäre ein noch schwererer Verlust gewesen. So aber habe ich gelernt, erinnernd zurück aber glücklich und dankbar nach vorn zu schauen, in ein gemeinsames und glückliches Happyend unseres Lebens.
An dieser Stelle lieben Dank an Freunde und Verwandte, die uns über diese schwere Zeit geholfen haben, die nicht an uns verzweifelt sind. Und einen unendlichen Dank an meine tiefe Liebe.
Allen Scheidungs-Opfern wünsche ich die Erfahrung gleichen Glücks und die Überwindung selbstzerstörerischer Trauer, die so oft in hasserfüllten Gedanken endet, Mauern nicht einreißt, sondern Mauern aufrichtet. Wir wissen heute um die Möglichkeiten, auch für unüberwindlich gehaltene Mauern zum Einsturz bringen zu können.

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„Es existieren keine verbindlichen Richtlinien“ – Interview mit einer Schlachthaus-Praktikantin

26.06.2011 – Christina (Name geändert) musste im Rahmen ihres Studiums ein dreiwöchiges Praktikum in einem deutschen Schlachthaus absolvieren. Was sie dabei erleben musste, hat sie uns in einem Interview berichtet.

Christina, du hast ein Praktikum in einem Schlachthof absolviert. Kannst du kurz schildern wie du dazu gekommen bist?

Ich studiere Tiermedizin, und in Deutschland ist es Pflicht, dass jeder, der Tiermedizin studiert, mindestens 100 Stunden auf dem Schlachthof verbringt. Es muss nicht in Deutschland sein, aber innerhalb der EU, und man kommt nicht darum herum.

Was waren deine Aufgaben und welche Stationen hast du durchlaufen? Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Ich habe alle Stationen durchlaufen und den kompletten Schlachthof gesehen: die Ankunft der Tiere, wie sie abgeladen werden, wie die Tiere betäubt und getötet werden, vom Ausbluten übers Zerlegen, wie sie hinterher ins Kühlhaus wandern und abgepackt werden. Ich habe auch gesehen, was mit den Sachen passiert, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, zum Beispiel die Rinder- und Schweinelungen, die dann zu Hundefutter verarbeitet werden.

Wie wird entschieden, was für den menschlichen Verzehr geeignet ist und was nicht?

Grundsätzlich haben die Arbeiter sehr wenig Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, ob ein Organ noch OK ist. Es sind etwa 20 Sekunden, in denen sie entscheiden müssen, was für den menschlichen Verzehr ungeeignet ist. Ob zum Beispiel Blut in der Lunge ist, weil die Tiere nochmal einen tiefen Atemzug gemacht haben, während sie ausbluteten, oder ob sie eine Lungenentzündung oder eine Herzbeutelentzündung haben. Diese Sachen werden abgeschnitten und landen in der Tonne, die noch zu Tierfutter weiterverarbeitet wird. Ich habe kaum Organe gesehen, die nicht krankhaft verändert waren.

Du hast auch am Band direkt an den Tierkörpern gearbeitet. Welchen Eindruck hattest du vom gesundheitlichen Zustand der Tiere, die dort verarbeitet wurden?

Dafür, dass die meisten Tiere, besonders die Schweine, nicht viel älter als 10 Monate waren, waren die Tiere in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung. Bei vielen waren die Lungen durch Entzündungen verändert, teilweise richtig verfärbt. Viele Lungen waren mit Blut gefüllt, fast alle Lungen hatten Abszesse. Fast alle Lebern hatten Parasiten und wurden weggeschmissen. Häufig waren auch Veränderungen am Herz zu sehen, insgesamt musste sehr viel aussortiert werden. Die Tierkörper wiesen auffällig viele Verletzungen auf, Abszesse, dicke Gelenke, Finnen, Bisswunden und Verletzungen von Schlägen.

Was sind Finnen und was passiert mit dem infizierten Fleisch?

Finnen sind Parasiten, die sich hauptsächlich bei Rindern finden, und die sich an Muskeln anlagern und verkapseln. Der Mensch kann sich durch den Konsum von infiziertem Fleisch anstecken. Die Erkrankung ist sehr gefährlich für den Menschen, weil die Parasiten im Körper umherwandern und sich an Organen anlagern können. Wenn Finnen bei Rindern gefunden wurden, blieb dem jeweiligen Tierarzt die Entscheidung allein überlassen, ob er das Fleisch trotzdem für den menschlichen Verzehr freigibt. Es existieren keine verbindlichen Richtlinien, ab wann sozusagen zu viele Finnen im Fleisch vorhanden sind. Infiziertes Fleisch wird »brauchbar« gemacht, indem es für eine bestimmte Zeit tiefgefroren wird. Danach wird es ganz normal verkauft.

Wann wurde ein Tier aussortiert? Was passierte mit ihm?

Nur sehr wenige Tiere wurden tatsächlich aussortiert. Dazu zählten Tiere, die sich gar nicht mehr bewegen konnten. Ein Schwein, das ich gesehen habe, hatte Fieber, und wurde von der Amtstierärztin aussortiert. Was bedeutet, dass es mitten im Stall erschossen wurde, und dort auch noch mehrere Stunden liegen blieb, während die anderen Tiere daran vorbei laufen mussten. Bei den Rindern habe ich überhaupt nicht erlebt, dass ein Tier aussortiert wurde.

Welche Aufgaben hatten die Amtstierärzte?

Eigentlich haben die Amtstierärzte die Aufgabe, alles zu überwachen. Gerade wenn die Tiere ankommen, sollten die Tiere noch einmal untersucht werden. In der Realität sah es allerdings so aus, dass nur ein grober Blick auf die Tiere geworfen wurde, um zu sehen, ob die Tiere noch laufen können. Selbst wenn Tiere lahmten, wurde nichts dazu gesagt oder aufgeschrieben. Nur in den schwerwiegendsten Fällen wurde etwas notiert. Die Kontrolle durch die Amtstierärzte war für mein Empfinden sehr lasch, beispielsweise habe ich die leitenden Ärztin nie hinten im Stall gesehen. Die Amtstierärztin füllte ihre Tabelle oft aus, und befand die Tiere somit für gesund und schlachttauglich, noch bevor sie sie überhaupt gesehen hatte. Nach dem Ausfüllen sah sie beim Ausladen zu. Meistens jedenfalls. Manchmal redete sie auch mit Kollegen und schaute gar nicht hin.

Wie gingen die Arbeiter mit den Tieren um? Hast du Verstöße gegen Tierschutzauflagen beobachtet?

Ich habe gesehen wie Tiere, die nicht mehr alleine den Transporter verlassen konnten, in den Betrieb getragen wurden, was nicht erlaubt ist. Ich habe gesehen, wie Schweine mit Schlägen und Tritten hineingetrieben wurden, dass Tiere, die nicht mehr aufstehen konnten geschlagen wurden, sogar ins Gesicht, während die Amtstierärztin daneben stand und nichts dagegen getan hat. Als ich diese Verstöße angesprochen habe, wurde das abgetan und das Thema gewechselt. Bei den Schweinen ging es sehr brutal zu. Die Tiere wurden mit Hartplastikstöcken getrieben, auf den Hintern und ins Gesicht geschlagen, sogar auf die empfindliche Nase. Teilweise wurden sie auch getreten. Das Problem ist, dass die Tiere in großen Gruppen von 20 bis 30 Tieren abgeladen werden, und dass auf die hinteren eingeprügelt wird, weil es vorne nicht weiter geht. Allerdings können die Tiere in diesem Gedränge nicht schneller laufen. Bei den Rindern habe ich beobachtet, dass elektrische Treibhilfen verwendet wurden. Diese wurden auch bei jungen Tieren und im Kopfbereich eingesetzt, was eigentlich verboten ist.

Was ist mit Bio-Tieren? Gab es einen Unterschied?

Nein. Bio-Tiere und Nicht-Bio-Tiere werden alle gleich behandelt. Alle werden auf dieselbe Weise hineingetrieben und geschlachtet.

Wie hast du dich deinen Kollegen gegenüber verhalten? Hast du dich als Tierschützerin geoutet?

Prinzipiell habe ich mich sehr zurückhaltend verhalten. Mir war die ganze Situation sehr unangenehm, deshalb wollte ich den Gesprächskontakt mit den Leuten eher vermeiden.

Welchen physischen und psychischen Belastungen warst du ausgesetzt? Wie hast du dich während der Arbeit gefühlt?

Für mich war es einfach die Hölle, anders kann man es nicht beschreiben. Ich habe sehr viel geweint und mich zurückgezogen. Ich konnte das überhaupt nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, und habe mich immer gefragt wie die anderen diese Arbeit überhaupt machen können. Die psychische Belastung war enorm hoch.

Wie haben die Erfahrungen aus dem Praktikum deine Einstellung zum Thema Tiere essen beeinflusst? Wie bewertest du diese Zeit rückblickend?

Ich lebe vegan, und meine Erfahrungen während des Praktikums haben meine Ansichten nur gefestigt. Ich habe gemerkt, dass es den Leuten, mit denen ich meine Erfahrungen geteilt habe, nahe gegangen ist, und dass ich sie zum Nachdenken angeregt habe. Ich freue mich darüber, wenn Leute sagen, dass es ihnen etwas gebracht hat, von meinen Erlebnissen zu erfahren. Dieses Praktikum war das Schlimmste, was ich je durchmachen musste. Ich wünsche diese Erfahrungen keinem. Weder Tier, noch Mensch.

http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/interview-mit-einer-schlachthaus-praktikantin

Schneeflocke

Sie kommt ganz leise,
ein Hauch nur,
wie von einem
anderen Stern.

Noch ehe Du
ihrer grazilen Schönheit
gewahr wirst,
schmilzt sie dahin.

Ein Tropfen nur
verliert sich
in Deiner Hand.
Wie Wasser,

das Dich erinnert
an eine Träne,
irgendwann
geweint.

Weihnachten 2010
© 2010 cwh

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„Ich bin ein Berliner“ – Der Tod von Dallas vor 47 Jahren

22. November 2010 1 Kommentar

Die Erinnerung schwärt wie eine ständig offene Wunde: Heute vor 47 Jahren, am 22. November 1963, starb John F. Kennedy infolge des Attentates in Dallas/ Texas.

An jenem Abend befand ich mich auf einer Veranstaltung des CDU-Ortsverbandes Lietzensee in Berlin. Bundesminister Baptist Gradl hielt einen Vortrag. Kurz nach 20:00 Uhr kam der Ober in den Raum und begann mit einem Gast am Ende des Tisches zu flüstern. Das dauerte etwas länger und Gradl wurde unruhig, fühlte sich gestört. Schließlich unterbrach er seinen Vortrag und fragte ungehalten nach dem Grund der Störung. Stockend berichtete der Ober, eben sei durch das Radio die Meldung von einem Attentat auf den US-Präsidenten gekommen.
Ungläubige Unruhe entstand. Gradl verlangte eine möglichst genaue Wiedergabe der im Radio verbreiteten Meldung. Stockend, irritierend die Antwort: „Besuch in Dallas, Texas.
Schüsse auf das Fahrzeug des Präsidenten. Kennedy schwer verwundet. Notoperation im Krankenhaus. Ringen um das Leben. Nähere Einzelheiten nicht bekannt.“
Nun redeten alle durcheinander: „Das kann ja nicht stimmen!“ „Das ist nicht wahr!“ „Was die immer alles im Radio verbreiten!“ Schließlich wurde die Versammlung unterbrochen
(und nicht mehr fortgesetzt).
Ich lief zur nächsten Telefonzelle, wählte die mir bekannte Telefon-Nummer vom Springer-Verlag. Mir schwante Schlimmes, als ich nicht durchkam. Endlich, nach vielen Bemühungen:
„Hier Springer-Verlag. Ja, auf Kennedy ist ein Attentat verübt worden.“ Der Hörer wurde aufgeknallt.
Aufgewühlt stolperte ich ins Veranstaltungs-Lokal zurück. Der Minister war bereits fort,wenige Teilnehmer diskutierten in Gruppen die wenigen verfügbaren Nachrichten.

Mehr betäubt als zielstrebig fuhr ich mit der U-Bahn in die Innenstadt, wollte Reaktionen einfangen. Am U-Bhf. „Deutsche Oper“ stiegen edel gekleidete Personen in den Zug. Empörung über den Abbruch der Vorstellung bis zu erschütterten Reaktionen. Einige Fahrgäste weinten.
Am Bahnhof Zoo pulste das Leben wie immer. Aus dem „Hofbräuhaus“ an der Gedächtniskirche dröhnte das Tä-Tä-Rä der üblichen Bierzelt-Musik. Frage an eine Kellnerin: „Haben Sie von dem Attentat in Dallas gehört?“
„Ja und?“
„Wird da nicht wenigstens diese Musik eingestellt? Die Deutsche Oper hat auch ihre Vorstellung abgebrochen.“
„Warum denn das? Nur weil da irgendwo ein Attentat verübt worden ist?“

Mit fällt dazu nichts mehr ein, ich bin nur fassungslos. Auf den Straßen spiegelt sich noch keine Reaktion. „Aber vielleicht bin ich doch zu streng?“ dachte ich. Es braucht schließlich seine Zeit, bis so eine Nachricht in die Köpfe dringt. Kurz nach 22:00 Uhr rufe ich meine Eltern an. Mein Vater ist entsetzt, will gleich das Radio einschalten. Meine Mutter reiße ich aus dem Schlaf. Sie will das einfach nicht glauben, schaltet schließlich noch während wir telefonieren das Radio ein. Jetzt überbringt sie die schlimme Nachricht: Kennedy ist tot, seinen Verletzungen erlegen.
Ich weine, schluchze laut. Passanten drehen sich um. Mir ist das so egal …

Hinter dem Wittenbergplatz eine erste Gruppe junger Menschen, die sich sammeln, zum Schöneberger Rathaus wollen. Plötzlich sind Fackeln da. Wir ziehen stumm zum Rudolf-Wilde-Platz. Dort taucht ein erstes Papp-Schild auf: „John-F.-Kennedy-Platz“.
Stumm stehen wir in der dunklen Nacht vor dem weltberühmten Rathaus, von dessen Balkon Kennedy noch vor wenigen Monaten gerufen hatte: „Ich bin ein Berliner!“ Bereits in der Nacht vor seiner Rede war ich vor das Rathaus gezogen, um mir einen guten Platz zu sichern. Und so konnte ich unser damaliges Idol aus unmittelbarer Nähe erleben.

Jetzt, 47 Jahre später, kommen wieder Tränen. Sie fallen auf die Tastatur meines PC, während ich mich an jene dunklen Stunden erinnere. Ein Drama, das seinerzeit die Welt bewegte. Es ist mir, als wäre es erst gestern geschehen…

Begegnung in Berlin: „Allah ist groß!“

Da denkt man nichts Böses (auch nicht an Sarrazin), und schon ist man mitten drin im Leben.
Mit meiner Gefährtin ging ich durch die Pestalozzistraße, als wir einen in Mullah-Gewändern eingehüllten Mitbürger sahen, der vor einem Grundstück stand und offenbar verzweifelt über den Zaun hinweg im Gestrüpp stocherte. Wir blieben stehen, um einfach zu sehen, was denn den Mann antrieb. Überraschend wurden wir beschimpft: „Warum stehen Sie hier? Gehen Sie weiter!“

„Wir wohnen hier und wollten sehen, ob wir Ihnen helfen können?“
„Gehört Ihnen das Grundstück? Sie sind nur Mieter. Gehen Sie weiter!“

So leicht ließen wir uns nicht abschütteln.
„Was suchen Sie denn?“
„Da liegt mein Stock drin, den will ich wiederhaben.“

Tatsächlich. Unter dem Gestrüpp lag ein Knauf-Stock, der sich trotz rudernder Bemühungen mit einem besorgten Besenstiel nicht von der Stelle rührte. Meine Gefährtin ging ein paar Meter weiter, betrat das Grundstück durch ein Gartentor, und im Nu hatte sie den Stock ergriffen und reichte ihn dem Muselmanen über den Zaun.

„Warum helfen Sie mir als Ungläubiger?“ fragte er mich, während meine Gefährtin den Garten verließ. „Und dabei habe ich Sie sogar beschimpft, Entschuldigung!“
„Wir helfen gerne. Aber wieso bezeichnen Sie mich als Ungläubigen? Auch ich glaube an einen Gott!“

„Es gibt keinen Gott. Das ist der falsche Name. Es gibt nur Allah. Nur die Ungläubigen bezeichnen Allah als Gott.“

„Wenn Sie Ihren Sohn „Ibrahim“ nennen und ich meinen Sohn „Wolfgang“, so hindert das uns nicht daran, unsere Söhne gleichwohl zu lieben.
Ob wir den Einen Gott als solchen bezeichnen oder ihn als „Allah“ anrufen, spielt das eine Rolle? Verehren nicht Juden, Muslime und Christen ein und denselben Gott?“

„Nein, das ist nicht so. Allah ist der Einzige. Wer nicht an Allah glaubt und seine Macht anerkennt, ist ungläubig. Glaubt Ihr an Allah?“

„Wir glauben an Gott!“
„Dann seid ihr ungläubig!“

Meine Gefährtin will die aufkeimende Spannung abbauen, fragt, wie denn der Stock in den Garten gelangt sei. Etwas zerknirscht räumt er ein, er habe am Vorabend „etwas zu viel getrunken“ und den Stock über den Zaun geworfen. Etwas seltsam, denn wenig später schimpft er auf seinen Vater, der oft betrunken gewesen sei.
Wir hatten ihn zuvor gefragt, warum er denn hier lebe, wenn er unglücklich sei, unter so vielen Ungläubigen zu leben?

Sein Vater sei dem Ruf der Kapitalisten gefolgt und sei darum sündig geworden. Er werde dieses Land in Kürze verlassen, weil er dieses Land hasse, und nach Syrien gehen.
„Waren Sie schon in Syrien?“

„Nein,“ sagen wir, „wir haben nicht das Geld dafür.“ Fast verächtlich zuckt er mit den Schultern: „Das ist doch kein Hindernis!“

Wir beenden die fruchtlos werdende Diskussion und verabschieden uns freundlich. Im Gegensatz zu uns scheint der „Mullah“ nicht ratlos. Mit großzügiger Geste hebt er die Hand zum Gruß. Funkelten seine Augen siegessicher?

In diesen Minuten in einer Straße in Charlottenburg rückt uns der Bürgermeister von Neukölln wieder ein Stück näher, verstehen wir die Aussagen von Thilo Sarrazin etwas besser. Aber wir sind ja mit dem Buch noch nicht ganz fertig…