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Archive for the ‘Einigkeit, Recht, Freiheit’ Category

Verbote sind Vorboten der Demokratie-Bestattung

26. August 2011 1 Kommentar

Berlin, 26.08.2011 – Zugegeben, auch ich gehörte einmal zu denen, die Verbote für ein adäquates Mittel hielten. 1990 schrieb ich an den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble und forderte ein Verbot der PDS. Dabei erinnerte ich an das NS-Verbot der Alliierten nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Schäuble lehnte seinerzeit mit der Begründung ab, das Problem werde sich von allein erledigen.

Die Begründung war obskur, die Nachfolger der SED feiern nach ihren Häutungen als DIE LINKE etablierte Erfolge. Aber war die Entscheidung des heutigen Finanzministers deswegen falsch?

Nach dem CSU-Generalsekretär fordert nun auch Sachsens JU-Vorsitzender Alexander Dierks (23) in wohl nachfolgendem Gehorsam das Verbot der linken Partei (http://www.bild.de/regional/leipzig/parteiverbot/ju-chef-will-linke-verbieten-19593506.bild.html). Der einzige wohl ehrenwerte Unterschied zu sonstigen Politikern (fast aller Coleur): Generalsekretär Alexander Dobrindt fordert auch ein Verbot der (rechtsradikalen) NPD. Aber sind Verbote zulässige Mittel der Demokratie?

Zwanzig Jahre nach meiner Verbotsanregung meine ich NEIN. Verbote sind Vorboten der Demokratie-Bestattung. Warum?

Eine Demokratie muss auch Extreme aushalten können (Günter Schabowski), von beiden Seiten, solange diese sich im politischen, also im dafür vorgesehenen Raum aufhalten und bewegen. Die bestehenden Gesetze reichen aus, um kriminelle Exesse mit dem Strafgesetzbuch zu bekämpfen. Verbote politischer Gegner erwecken nicht nur den Verdacht, unliebsame Kritiker scheinbar legal aus dem Wege räumen zu wollen, sie öffnen auch breit das Tor für jene Extremisten, die schon jetzt verkünden, ihre politischen Gegner einst erneut zu verbieten, wohlmöglich in Zuchthäusern oder neuen KZs verschwinden zu lassen. Ausgerechnet die Gegner der Demokratie könnten sich dann einst auf das Verbots-Erbe der Demokratie berufen.

So hässlich und abartig die nostalgische Verblumung der DDR und ihrer Mord-Mauer klingt, so widerwärtig die nostalgische Verklärung der NS-Zeit durch Knobelbecher-Halbstarke ist, wir müssen diesen historisch widerlegten Aberwitz mit den guten und vorhandenen Argumenten einer freien Gesellschaft begegnen. Wir müssen uns die freilich anstrengende Mühe machen, die Demokratie offensiv, jeden Tag zu verteidigen. Wir müssen das dauerhafte Gespräch mit den gedankliche Verquerern in den extremistischen Lagern suchen, ihnen die Kraft der Demokratie durch Taten vermitteln: Wir teilen nicht Eure Meinung, aber wir werden immer dafür eintreten, dass ihr eure Meinung vertreten dürft.

Damit stärken wir auch den Querdenkern, die es sowohl bei den SED-Nachfolgern als auch in den Reihen der NPD gibt, den Rücken. Das wäre, das ist gelebte Demokratie. Alles andere wäre von Übel.

Herr Dobrindt, Herr Dierks, verabschieden Sie sich möglichst schnell von diesen populistischen Verbots-Anträgen. Suchen Sie das Gespräch, die demokratische Auseinandersetzung. Bewahren und verteidigen Sie die Werte unserer Demokratie. Verbote sind verfassungsfeindlich, sind die Vorboten, die direkt zum Grab für unsere Verfassung führen.
Meint zumindest mauerdemonstrant.

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Hakenkreuzfahnen in Sachsenhausen und Buchenwald?

18. April 2011 1 Kommentar

Buchenwald/Berlin, 18.04.2011 – Diese Provokation wäre in der Tat kaum denkbar:
Neo-Nazis marschieren mit Hakenkreuzfahnen in den Gedenkstätten und ehemalige KZs Sachsenhausen und Buchenwald auf, um „ihrer“ Toten zu gedenken. Berechtigte Aufschreie der Entrüstung würden durch das Land gellen. Darum lassen die Neo-Nazis solche Aufzüge gleich unter den Tisch fallen und marschieren lieber provokant durch Wunsiedel in Bayern oder anderswo.

"Bau auf, bau auf..." - ein neuerliches KZ für politisch Andersdenkende?


So weit, so gut? Fehlanzeige.

Denn wie auf den hier veröffentlichten Fotos zu sehen, marschieren junge Leute unter den Fahnen der DDR, der DKP oder auch der Partei DIE LINKE ungestört im ehemaligen KZ Buchenwald zum 66. Tag der Befreiung auf, um ihrer staatlich finanzierten AntiFa-Beweispflicht nachzukommen. Dass sie an einem Ort demonstrieren, an dem tausende Unschuldiger unter den Kommunisten nach 1945 ermordet wurden oder jämmerlich verreckten, wissen diese Unwissenden augenscheinlich nicht. Oder sie wollen es nicht wissen. Weil sie nicht dafür vom Staat ausgehalten werden, gegen einstige staatliche Verbrechen zu demonstrieren und an die unschuldigen Opfer zu erinnern.

Ignoranz der eigenen Verbrechen oder (gezielte) Verdummung?


Sie demonstrieren gegen eine längst imaginäre faschistische Gefahr, weil ihre Auftraggeber von der vorhandenen Gefahr von LINKS durch den Schrei gegen RECHTS ablenken wollen. In kaum einem Landesparlament sitzt eine rechte Partei, während die LINKE nahezu in allen Landesparlamenten und im Bundestag fest etabliert ist und sich Dank der SPD an Regierungen beteiligen darf.
Solange aber DIE LINKE in größter Selbstverständlichkeit ehemalige Mitarbeiter und Zuträger des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR für ministrabel hält, diese in Richter- und Polizeiämtern toleriert oder gar zu Fraktionsvorsitzenden macht oder mit anderen Parteiämtern belegt, solange DIE LINKE als Parteiorganisation eine Kommunistische Plattform in ihren Reihen duldet und damit die Suche nach dem richtigen Weg zum Kommunismus nachhaltig illustriert, solange sind diese Auftritte ihre Jungvolkes in Buchenwald oder anderswo eine lebende, schreiende, anklagende Provokation.

"Auferstanden aus Ruinen und der Vergangenheit zugewandt?" Muss man dafür in Buchenwald Flagge zeigen?


Im Gegensatz zur SPD hat sich die CDU aller Anbiederungen an (rechts)extreme Gruppierungen enthalten, ist der Versuchung zum Machterhalt um jeden Preis nicht erlegen. Vielleicht stellt sie auch deswegen seit sechs Jahren (wieder) den Bundeskanzler(in)? Aber auch die CDU sollte ernsthaft überlegen, ob sie sich nicht diesen unerträglichen Provokationen von LINKS endlich stellt, statt diese zu ignorieren und Überlegungen anzustellen, die SPD ideologisch auf der linken Seite zu überholen. Das könnte sich eines Tages bitter rächen. Vor lauter Krampf nach RECHTS haben wir dann den Kampf gegen LINKS sträflich übersehen und wachen wieder in einer Diktatur auf. Dann wehen wohlmöglich in Sachsenhausen und Buchenwald die Fahnen wieder offiziell, die gegenwärtig durch willige Helfershelfer durch Handbetrieb geschwungen werden.

Und die Schreie neuer Opfer verhallen wohlmöglich in den neuen oder wiederbelebten Folterkellern, weil der rechtzeitige Aufschrei der dann beseitigten demokratischen Ordnung unterblieben war. Nur Schwarzmalerei oder eher düstere Aussichten?

Die Bilder aus Buchenwald sollten uns nachdenklich machen, bevor es wieder einmal zu spät ist.

Fotos: © 2011 by Dirk Jungnickel, Berlin – Textung: Mauerdemonstrant

Wer kennt Eva Breitmann, Jahrgang 1933, Insassin von Hoheneck?

Eine Frau sucht Kameradinnen ihrer Mutter. Diese war von 1953 bis 1960 im Zuchthaus. Wegen der Unruhen am 17. Juni 1953 war sie in Ostberlin verhaftet und zu zehn Jahren verurteilt worden. Es handelt sich um Eva Breitmann, geb. 14.2.1933. In Hoheneck arbeitete sie in der Schneiderei. Ihre Freundin dort hieß Herlinde.

Voriges Jahr ist sie verstorben und hat kaum mit ihrer Tochter über diese schlimme Zeit gesprochen, die jetzt natürlich mehr erfahren möchte.

Antworten an: p.el@gmx.net.

Die Sehnsucht nach einem „Papa“ in Bellevue

Nur noch wenige Tage, dann werden wir einen neuen Bundespräsidenten haben. Bis dahin schießen die Spekulationen ins Kraut, zeihen sich die jeweiligen Lager gegenseitig des parteipolitischen Missbrauchs des hohen Amtes für ihre Rankünen. Natürlich glauben sie nicht an den Unsinn, der da verzapft wird. Aber vor der Wahl ist nach der Wahl, und die Aussicht, über den Gutmenschen Joachim Gauck endlich Angela Merkel aus dem Amt hieven zu können, ist einfach zu verlockend.
Das hat dann schon den Hauch einer antiken Tragödie. Die Wahl eines Freundes der Kanzlerin führt zu deren Rücktritt, ein Ost-Deutscher stößt eine Ost-Deutsche vom Kanzler-Thron. Dieser „Wechsel“ in der Staatsspitze würde ja nicht einmal als breites Unglück angesehen werden: Tausche FDJ-Sekretärin gegen Bürgerrechtler. Zweifellos würde diese Konstellation vermutlich auf eine breite Zustimmung in allen politischen Lagern stoßen. Darauf setzt die SPD, springen die GRÜNEN offensiv an die rote Seite. Im Gegensatz zu den vielen Unkenrufen vom „Untergang Deutschlands“ ist das legitim.
Ein wichtiger Aspekt des rot-grünen Pokers um den Kanzler-Sturz darf aber auch nicht übersehen werden. Die breite Sehnsucht nach einem „Papa“ im Amtssitz Bellevue. Seltsam genug, dass es nur ein Bundespräsident geschafft hat, nicht nur liebevoll so bezeichnet zu werden, sondern von einer breiten Mehrheit auch so empfunden wurde. Die Älteren werden sich noch heute an ihn erinnern, und dabei ist ein gewisses Leuchten in ihren Augen nicht zu übersehen. Theodor Heuss war – wie Konrad Adenauer als sein ihn fraglos ergänzender Gegenspieler – ein Glücksgriff für die Nachkriegs-gebeutelte Bundesrepublik. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“ sang man damals kalauernd aber durchaus zutreffend.
Wir haben keine Nachkriegszeit, Gott sei Dank. Aber wir haben zweifellos eine Krise des Systems an sich. Der Goldglanz einer im Wirtschaftswunder unbesiegbaren Ordnung blättert, eine Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes erschüttert unser Vertrauen in die Substanz der demokratischen Ordnung. In solchen Zeiten steigert sich die Sehnsucht nach Leitfiguren, nach Persönlichkeiten, die als Teil des „Wir“ empfunden werden. Das könnte die Stunde des „Papa“ Gauck werden, ein „Papa“ Wulff ist subjektiv kaum vorstellbar.
Sehnsucht ist das eine, Realität das andere. Denn ein Automatismus ist auch mit der Wahl einer Zielperson (der Sehnsüchte) nicht verbunden. Papa Heuss, der erste Bundespräsident, war nicht nur einer der gescheitesten Präsidenten in diesem Amt, er brachte auch die Bescheidenheit und damit das „Wir-Gefühl“ unnachahmlich zum Ausdruck. Er wirkte aus sich selbst heraus, war das pure Gegenteil von Arroganz und Selbstverliebtheit und wurde deswegen geradezu geliebt und verehrt. Das Volk fand sich in seinem höchsten Repräsentanten selbst. Unvergessen nicht nur das persönliche Erlebnis, als Papa Heuss in einer offenen Benz-Limousine am Mauerdemonstranten vorbeifuhr und das begeisterte Winken des einsam am Straßenrand winkenden Schülers souverän erwiderte. Unvergessen der tiefsinnige Humor, der dem Volk die Not der Nachkriegszeit leichter ertragen ließ. So, als Heuss den Soldaten der gerade aus der Taufe gehobene Bundeswehr zurief: „Na, dann siegt mal schön.“ So eine Äußerung würde heute wohl skandalisiert werden (weil wir verlernt haben, über Inhalte zu diskutieren).

Gauck ist wohl (noch) eine Spur zu selbstverliebt, um im Falle seiner Wahl die „Papa“-Sehnsucht erfüllen zu können, aber ein Pfarrer ist lernfähig (was der Bürgerrechtler in der Vergangenheit ja bewiesen hat). Und Wulff? Noch sagt man, er sei zu jung, kommt aus dem aktuellen Politbetrieb etc.  Na und? Aus diesem Betrieb kamen seine Vorgänger auch, einschließlich Theodor Heuss. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, auch ein junger Vater könnte in die „Papa“-Funktion hineinwachsen.   Allerdings: Ob Gauck oder Wulff, die Sehnsucht, die Suche nach dem Vorbild, das Orientierung gibt, wird uns wohl bleiben.

Verschämtes Verschweigen: Gesine Schwan

Gerade einmal 12 Monate ist es her, das die SPD für das Amt des Bundespräsidenten eine Frau auf den Schild hob: Gesine Schwan. Die Begründung war einleuchtend: Es ist Zeit, eine Frau in das höchste Staatsamt zu wählen. Gesine Schwan hielt sich trotz der Aussichtslosigkeit tapfer und erzielte ein achtbares Ergebnis. Keiner wußte oder konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass der Bundesrepublik nur zwölf Monate später ein noch nicht dagewesener Rücktritt ihres Präsidenten ins Haus stehen würde.
Aber das die SPD nur ein Jahr später ihre „überzeugende Alternative“ aus dem Jahre 2009 schon vergessen haben würde, hätte wohl auch keiner der Auguren vermutet. Was hat sich an Gesine Schwan in zwölf Monaten so verändert, dass sie nicht mehr Präsidenten-like ist? Oder war der aus dem Hut gezauberte männliche Kandidat Joachim Gauck nur dem, wenn auch kurzfristigen aktuellen Umstand geschuldet, dass die Koalition mit Ursula von der Leyen nun selbst (wieder) eine Frau ins Spiel brachte? Aber reicht selbst das, um gewissermaßen im Nachhinein die eigene Kandidatin so abzumeiern? Nach fünf Jahren kann man eine Neu-Nominierung nachvollziehen, aber nach nur zwölf Monaten?
Der Koalition wird nun parteiliche Taktiererei zum Nachteil des Vaterlandes vorgeworfen. Ich meine, die Opposition, voran die SPD, sollte sich mit diesem Vorhalt an die eigene Nase fassen. Gewiss, Taktik gehört zum politischen Geschäft. Aber auch die Ehrlichkeit sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben. Und da wäre wenigstens ein Wort der Begründung, warum man Gesine Schwan nach nur zwölf Monaten einer Kandidatur offenbar für unwürdig hielt, angebracht gewesen. Vielleicht hätte die SPD dann doch einräumen müssen, dass sie diesmal einer Frau (U.v.d.L.) einen Mann gegenüberstellen wollte (J.G.) und darum, auch das wohl politische Logik, nicht auf Gesine Schwan setzen wollte. Egal. Zurück bleiben zwei Frauen, die die taktischen Verletzungen durch ihre Parteien verarbeiten müssen. Gesine Schwan mag sich trösten: Immerhin stand sie einige Wochen zur Aus-Wahl für das höchste Staatsamt.
Die erfolgsverwöhnte Ursula von der Leyen schaffte dies nur für zwei Tage.

Weitere Meinungen zur Präsidenten-Wahl: http://www.17juni1953.de > Presse

Es darf geheuchelt werden

Ein Präsident tritt zurück. Respekt!
Wenn Horst Köhler allerdings einer ausufernden Debatte um ihn, um seine nie kritikfreien Äußerungen ein Ende setzen wollte, dann hat sich der Präsident wohl geirrt. Diese Diskussion wird in den nächsten Tagen erst richtig entfacht werden. Denn vermutlich ging es gar nicht um inhaltliche Auseinandersetzungen, sondern um das politische Unwohlsein mit einem Präsidenten, der sich einmischte, der auch einmal Tacheles redete. Das gehörte sich nicht, das war mit dem Verständnis der Exekutive kaum in Einklang zu bringen.

Jetzt überschritt Köhler offenbar den Rubikon. Mit seiner Aussage über die Handelsnation Deutschland und der Aufgabe, diese Funktion auch notfalls mit der Waffe verteidigen zu müssen, rührte er an Essential deutscher Realpolitik: Dem Volk müssen nicht alle Wahrheiten serviert werden, es reicht, notgedrungen von „kriegerischen Handlungen“ zu sprechen, um die „Freiheit am Hindukusch“ zu verteidigen. Wer hier auch nur andeutungsweise von verteidigungswerten Handelswegen spricht, sprengt den innenpolitischen Konsens, an den sich bislang lediglich DIE LINKE nicht gehalten hat.

Ob die Kritik an Köhler selbst, an dem Amt des Bundespräsidenten, wirklich zum erstmaligen Rücktritt eines Präsidenten geführt hat, werden wohl erst Historiker ergründen und beschreiben. Tatsächlich dürften mehrere Faktoren diesen Schritt beschleunigt haben. Die personalen Unruhen im Präsidialamt, die der einstige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) wohl nicht in den Griff bekam, waren zweifellos Gift für die Reputation des Amtes, zumal ebenfalls einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
Aber Rücktritt?

Könnte es sein, das der international geachtete Wirtschafts- und Währungsfachmann die Grenzen seiner Möglichkeiten erkannte? Dass er im Schatten der dunklen Unwetter-Wolken am Euro-Himmel und im zuckenden Licht der Blitze am internationalen Börsen-Firmament stumm bleiben musste? Wollte Horst Köhler vielleicht nicht „sehenden Auges“ einem ins Haus stehenden wirtschaftlichen und finanziellen Fiasko zusehen? Wollte er wenigstens nicht dafür als Fachmann, der es eigentlich hätte wissen müssen, eines Tages zumindest in die moralische Verantwortung gezogen werden?

Vielleicht hat er ja hinter den Kulissen sein Wissen eingebracht? Wurden seine Ratschläge, für ihn zunehmend unerträglich, ignoriert? Hat hier ein Mensch den Bettel aus Selbstachtung hingeworfen, obwohl einer seiner Vorgänger trotz weit schwerwiegenderer Vorwürfe („KZ-Baumeister“) im Amt ausgehalten hatte? Es darf spekuliert und es wird geheuchelt werden.

Horst Köhler indes verweigert sich hinfort dem politischen Intrigenspiel, darf aufrecht das präsidiale Schloss verlassen.
Danke, Herr Bundespräsident!

Einer geht

Deutschland reibt sich die Augen. Da verlässt ein Politiker sein Amt. Ohne aktuellen Anlass,
ohne Druck der Medien, einfach so. Und dazu im besten Alter. Noch durchaus in der Lage, eine zweite Karriere jenseits der Politik zu starten.
Zugegeben, das war ein Paukenschlag, als Roland Koch seinen Rücktritt ankündigte. Er schmiss auch nicht einfach hin. Nein, der hessische Ministerpräsident bestellt ordentlich sein Haus, gibt sich drei Monate Zeit, um die Übergabe an seinen Noch-Innenminister vorzubereiten. Derlei Rücktritte haben Seltenheitswert, zumal in Deutschland. Klammern sich nicht unsere Politiker an ihre Ämter und Funktionen, bis ein Skandal sie zum Rücktritt zwingt? Oder eine absehbare, manchmal überraschende Wahlniederlage ihnen keinen anderen Ausweg lässt, als den ungeordneten Rückzug?

Roland Koch, der für die CDU überraschend erfolgreiche Hesse, zieht sich völlig aus der Politik zurück. Form und Zeitpunkt sind ungewöhnlich und lassen die Spekulationen über die wirklichen Motive ins Kraut schießen. Und die politischen Gegner, die so oft und fast schon verzweifelt gegen diesen konservativen Brocken der Union angerannt waren? Sie reagieren nach altem, gewohnten Gebrauchsmuster: Fast schon beleidigt, dass sie den Rücktritt nicht erkämpfen durften, schmähen sie den mutigen und fast einzigartigen Schritt ihres bisherigen politischen Widerparts als „Flucht aus der Verantwortung“ und was der politische Schmäh noch so hergibt. Das wirkt hilflos, das ist einfallslos.

Wenigstens aus diesem ungewöhnlichen Anlass hätte man dem Gegner Respekt zollen, sich im Anstand verneigen können. Hier geht ein Lotse von Bord, nachdem er das hessische Schiff durch einige politische Ypsilanti-, auch Spenden-Klippen gesteuert hat. Nicht im Sturm, sondern nachdem er ruhiges Gewässer erreicht hat. Respekt.

Ob die Kanzlerin mit dem erneuten Verlust eines innerparteilichen Gegners länger so weitermachen kann, wie bisher, steht auf einem anderen Blatt. Es wird einsamer um Angela Merkel. Das ist weder gut für sie, noch gut für die CDU, auf längere Sicht schlecht für Deutschland. Denn eine Partei ohne herausragende Köpfe macht sich fast schon unerträglich abhängig von einem Kopf. Und geht eines Tages auch mit diesem Kopf unter, weil es nicht zuletzt nur noch beim politischen Gegner Alternativen gibt. Roland Koch bestellt sein Haus, solange er noch etwas zu bestellen hat. Auch so kann man Marken setzen, der Bollwerk-Kanzlerin einen deutlichen Fingerzeig geben.

GRÜNE in Thüringen: Üppige Versorgung soll gekürzt werden

Nach einem Bericht der TLZ wollen Thüringens Grüne die üppige Altersversorgung von Ministern im Freistaat reformieren. Unter anderem sollen Ruhegeldansprüche erst ab Erreichen des Rentenalters gezahlt und bei 71,75 Prozent der Bezüge gedeckelt werden. Sie legten eine entsprechende Novelle des Ministergesetzes vor.

Dazu meint Mauerdemonstrant:
„Und sie bewegt sich doch!“ rief einst Galilei aus. Als Demokrat, der mit Sorge die Entdemokratisierung unserer Gesellschaft verfolgt, begrüßt man geradezu erleichtert die Initiative der GRÜNEN im Thüringer Parlament zur überfälligen Regulierung der bislang üppigen Ministerversorgungen. Wenn jetzt auch noch die Umsetzung erfolgt und gleichzeitig die Bezüge der Abgeordneten (in allen Parlamenten) debattiert und, angesichts der leeren Kassen, korrigiert werden, wäre mehr für die Demokratie und ihre Verankerung passiert, als durch Parolen in teuren (auch vom Staat finanzierten) Wahlkämpfen.

1. Mai 2010: Wolfgang T. ist ein ehrenwerter Mann

Potztausend, das hat es seit Petra Kelly und Gert Bastian nicht mehr gegeben: Ein leibhaftiger Bundestagsabgeordneter im Sitzstreik auf dem Berliner Asphalt. Und dieser Bundestagsabgeordnete rangiert in der Spitze des Staates Deutschland ganz oben. Na ja, als Vize nicht mehr ganz so hochdroben, aber vorher immerhin schon. Wobei sich die Fachleute ja immer noch nicht einig über die Rangfolge sind. Nach der Verfassung rangiert hinter dem Bundespräsidenten sein Stellvertreter, also der Bundesratspräsident, dann der Bundestagspräsident und dann erst der Bundeskanzler. Real wird aber immer häufiger der Bundestagspräsident als „zweiter Mann im Staate“ bezeichnet. In der Praxis hingegen ist der/die BundeskanzlerIn der/die mächtigste, also die Politik bestimmende Figur. Gar nicht so einfach also…
Aber darum geht es hier eigentlich gar nicht. Hier soll ja von dem führenden Abgeordneten die Rede sein, der sich „im Kampf gegen Rechts“ im Verein mit anderen mutigen Bürgern auf die Straße setzte, um sich dann von der Polizei brav entsorgen zu lassen („Die tun nur ihre Pflicht, wie ich meine Pflicht als Staatsbürger tue“, so der O-Ton dazu). Das wäre ja auch alles in bester Ordnung, zumal es voll im Mainstream liegt. Pech nur, wenn dann die Medien vermelden, „die Neo-Nazis hätten sich nach Gesprächen mit der Polizei auf den Ausgangspunkt ihrer Demonstration zurückgezogen“ und später von den „gewaltbereiten Autonomen“ berichtet wurde, die „Steine und Flaschen auf Polizisten“ geworfen und „Müllcontainer als Straßenbarrikaden“ angezündet hätten. Was denn nun? 700 Rechtsextremisten (Steigerung: Neo-Nazis) ziehen sich ohne Widerstand zurück, 600 „linke Autonome“ machen „Krawall“ und schmeißen „Steine und Flaschen“ auf Polizisten?

Moment mal, Herr Abgeordneter, sehe ich das richtig: Sie setzen sich gegen Gewalt und Radikalismus auf die Straße? Haben Sie da vorher zufällig sortiert und fein säuberlich getrennt zwischen linker und rechter Gewalt? Oder haben Sie nur verinnerlicht, dass (zumindest am 1.Mai nicht vorhandene) rechte Gewalt stets von Neo-Nazis und Rechts-Extremisten ausgeht, während linke Gewalt ja „nur“ von linken „Autonomen“ ausgeht, es also gar keinen Links-Extremismus gibt? Oder wie soll ich, wie soll der Bürger Ihr zweifelloses Engagement bewerten?
Für meinen Teil bin ich immer davon ausgegangen, dass es gilt, gegen Extremismus jeglicher Couleur vorzugehen, ohne vorher die Farbenlehre zu strapazieren. Denn manchmal sieht auch braune Sch….. ziemlich rot, weil blutig aus. Da waren sich Hitler und Stalin durchaus einig, was die Praxis anging.
Aber, um hier keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Wolfgang T. ist ein ehrenwerter Mann. Und das wäre noch glaubwürdiger, wenn Wolfgang T. sich „nach Einbruch der Dunkelheit“ ebenfalls auf die Straße gesetzt hätte, um sich der Gewalt linker Extremisten (pardon: Autonomen) zu widersetzen. Aber da hätte er wohlmöglich ganz alleine gesessen. Und das ist nicht Jedermanns Sache, schon gar nicht die eines aller Ehren werten Bundestagsabgeordneten.

Von Philosophen, Patrioten und Antisemiten

Am vergangenen Wochenende (9./10.01.2010) berichtete die Süddeutsche Zeitung über die Anstrengungen, den Namen einer Universität zu ändern. Die Uni Greifswald sei nach einem höchst umstrittenen Patrioten und Antisemiten benannt: Ernst Moritz Arndt. Nun kann man ja über Namensgebungen trefflich streiten. Und immer wieder gibt es Ausnahmen von der Regel, werden Namen emotional aus der Aktualität heraus vergeben, so, um nur ein Beispiel zu nennen, nach dem die Welt bewegenden Tod von Dallas. Die John-F.-Kennedy-Benamungen für Plätze, Straßen und Einrichtungen wurden selbstverständlich. Ob das unsere Nachkommen nachvollziehen können, wissen wir nicht.

Anders werden die Namen wahrgenommen, an die sich bereits Generationen gewöhnt haben und die nun plötzlich aus einem gewandelten Zeitgeist heraus verändert, gar abgeschafft werden sollen. Dabei steht immer die Unverträglichkeit mit taggleichen Überzeugungen und Erkenntnissen im Vordergrund. Geschichte wird in den Fokus eines Aktualitäten-Kinos gestellt. (Kennen Sie noch das „Aki“ an der Ecke? Wo wir uns gleich vier Wochenschauen an einem Stück anschauen konnten und die Welt auf einen kleinen Filmvorführungsraum in der City schrumpfte?) Aber kann man so mit Geschichte umgehen?
Zugegeben, ich habe an anderer Stelle auch schon für die Abschaffung der Karl-Marx-Allee in Berlin plädiert. Denn wenn man aus den antisemitischen Schriften des Philosophen als Karl Marx verkleidet vorlesen würde, wie dies Sebastian Jabusch von der Anti-Arndt-Initiative laut SZ in der Kostümierung von E.M.A zelebriert hat, dann würden viele Bürger, ob links oder mittig, vielleicht sogar von rechts, die Polizei rufen. Denn was der so verehrte Kapitalismus-Kritiker, selbst Jude, da so an antisemitischen Lehrsätzen von sich gab, lässt uns heute die Haare zu Berge stehen. Eine Umbenennung der Allee im Herzen Berlins in eine „Straße des 9.November“ wäre also durchaus angezeigt, zumal Karl Marx noch würdig genug in Neukölln, einem großen Berliner Bezirk im ehemaligen West-Berlin, strassiert ist.

Freilich hat eine Straße nicht die Bedeutung wie eine Universität. Wer denkt schon in der „Straße des 17.Juni“ über den ersten Volksaufstand im kommunistischen Machtbereich nach 1945 nach? In einer Universität wird schon vom Selbstverständnis her reflektiert, geforscht, gelehrt und gelernt. Soll man also wirklich zweifellos historisch begründete Namen einzig aus einem aktuellen Bauch-Gefühl heraus verändern, abschaffen? Ist nicht der Umgang, die permanente Auseinandersetzung mit einem Namen bzw. dem Namensgeber eine faszinierende Möglichkeit, sich mit dessen Zeit, der seinerzeitigen Geschichte zu befassen? Gerät nicht ein wichtiger Teil unserer Kultur-Entwicklung ins Abseits, wenn wir uns von unliebsamen Namen trennen, nur weil uns gewisse Kanten im Lebenslauf der Namensgeber nicht mehr gefallen oder wir für einen flüchtigen Augenblick die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit einheimsen können, wollen?

Nein, liebe Greifswalder Studenten, so lässt sich Geschichte nicht begreifen und verarbeiten. Setzt Euch mit Ernst Moritz Arndt auseinander, widersprecht seiner damaligen Diktion, erarbeitet, wie Ihr damals (ohne den Hintergrund heutiger Erkenntnisse) anders argumentiert hättet. Und nehmt den Namenspatron Eurer Universität zum Anlass, über Erkenntnisse aus der Geschichte und ihre heutige Umsetzung nachzudenken. Dann weitet sich auch die Sichtweise und Ihr seid in der Lage, auch (und nicht nur) Karl Marx in Eure kritischen Betrachtungen einzubeziehen. Und dann lasst uns besser darüber diskutieren, ob Letztgenanntem angesichts seiner antisemitischen Ausfälle unbedingt zwei repräsentative Straßen in der Hauptstadt und ungezählte Wohnadressen in der ganzen Republik gewidmet sein müssen. Karl Marx hat seinen Platz in der Geschichte, Ernst Moritz Arndt ebenfalls. Trotz berechtigter Kritik haben sie mehr verdient, als aktuelle Rechthaberei.