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Von Philosophen, Patrioten und Antisemiten
Am vergangenen Wochenende (9./10.01.2010) berichtete die Süddeutsche Zeitung über die Anstrengungen, den Namen einer Universität zu ändern. Die Uni Greifswald sei nach einem höchst umstrittenen Patrioten und Antisemiten benannt: Ernst Moritz Arndt. Nun kann man ja über Namensgebungen trefflich streiten. Und immer wieder gibt es Ausnahmen von der Regel, werden Namen emotional aus der Aktualität heraus vergeben, so, um nur ein Beispiel zu nennen, nach dem die Welt bewegenden Tod von Dallas. Die John-F.-Kennedy-Benamungen für Plätze, Straßen und Einrichtungen wurden selbstverständlich. Ob das unsere Nachkommen nachvollziehen können, wissen wir nicht.
Anders werden die Namen wahrgenommen, an die sich bereits Generationen gewöhnt haben und die nun plötzlich aus einem gewandelten Zeitgeist heraus verändert, gar abgeschafft werden sollen. Dabei steht immer die Unverträglichkeit mit taggleichen Überzeugungen und Erkenntnissen im Vordergrund. Geschichte wird in den Fokus eines Aktualitäten-Kinos gestellt. (Kennen Sie noch das „Aki“ an der Ecke? Wo wir uns gleich vier Wochenschauen an einem Stück anschauen konnten und die Welt auf einen kleinen Filmvorführungsraum in der City schrumpfte?) Aber kann man so mit Geschichte umgehen?
Zugegeben, ich habe an anderer Stelle auch schon für die Abschaffung der Karl-Marx-Allee in Berlin plädiert. Denn wenn man aus den antisemitischen Schriften des Philosophen als Karl Marx verkleidet vorlesen würde, wie dies Sebastian Jabusch von der Anti-Arndt-Initiative laut SZ in der Kostümierung von E.M.A zelebriert hat, dann würden viele Bürger, ob links oder mittig, vielleicht sogar von rechts, die Polizei rufen. Denn was der so verehrte Kapitalismus-Kritiker, selbst Jude, da so an antisemitischen Lehrsätzen von sich gab, lässt uns heute die Haare zu Berge stehen. Eine Umbenennung der Allee im Herzen Berlins in eine „Straße des 9.November“ wäre also durchaus angezeigt, zumal Karl Marx noch würdig genug in Neukölln, einem großen Berliner Bezirk im ehemaligen West-Berlin, strassiert ist.
Freilich hat eine Straße nicht die Bedeutung wie eine Universität. Wer denkt schon in der „Straße des 17.Juni“ über den ersten Volksaufstand im kommunistischen Machtbereich nach 1945 nach? In einer Universität wird schon vom Selbstverständnis her reflektiert, geforscht, gelehrt und gelernt. Soll man also wirklich zweifellos historisch begründete Namen einzig aus einem aktuellen Bauch-Gefühl heraus verändern, abschaffen? Ist nicht der Umgang, die permanente Auseinandersetzung mit einem Namen bzw. dem Namensgeber eine faszinierende Möglichkeit, sich mit dessen Zeit, der seinerzeitigen Geschichte zu befassen? Gerät nicht ein wichtiger Teil unserer Kultur-Entwicklung ins Abseits, wenn wir uns von unliebsamen Namen trennen, nur weil uns gewisse Kanten im Lebenslauf der Namensgeber nicht mehr gefallen oder wir für einen flüchtigen Augenblick die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit einheimsen können, wollen?
Nein, liebe Greifswalder Studenten, so lässt sich Geschichte nicht begreifen und verarbeiten. Setzt Euch mit Ernst Moritz Arndt auseinander, widersprecht seiner damaligen Diktion, erarbeitet, wie Ihr damals (ohne den Hintergrund heutiger Erkenntnisse) anders argumentiert hättet. Und nehmt den Namenspatron Eurer Universität zum Anlass, über Erkenntnisse aus der Geschichte und ihre heutige Umsetzung nachzudenken. Dann weitet sich auch die Sichtweise und Ihr seid in der Lage, auch (und nicht nur) Karl Marx in Eure kritischen Betrachtungen einzubeziehen. Und dann lasst uns besser darüber diskutieren, ob Letztgenanntem angesichts seiner antisemitischen Ausfälle unbedingt zwei repräsentative Straßen in der Hauptstadt und ungezählte Wohnadressen in der ganzen Republik gewidmet sein müssen. Karl Marx hat seinen Platz in der Geschichte, Ernst Moritz Arndt ebenfalls. Trotz berechtigter Kritik haben sie mehr verdient, als aktuelle Rechthaberei.