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Posts Tagged ‘Bundespräsident’

Die Sehnsucht nach einem „Papa“ in Bellevue

Nur noch wenige Tage, dann werden wir einen neuen Bundespräsidenten haben. Bis dahin schießen die Spekulationen ins Kraut, zeihen sich die jeweiligen Lager gegenseitig des parteipolitischen Missbrauchs des hohen Amtes für ihre Rankünen. Natürlich glauben sie nicht an den Unsinn, der da verzapft wird. Aber vor der Wahl ist nach der Wahl, und die Aussicht, über den Gutmenschen Joachim Gauck endlich Angela Merkel aus dem Amt hieven zu können, ist einfach zu verlockend.
Das hat dann schon den Hauch einer antiken Tragödie. Die Wahl eines Freundes der Kanzlerin führt zu deren Rücktritt, ein Ost-Deutscher stößt eine Ost-Deutsche vom Kanzler-Thron. Dieser „Wechsel“ in der Staatsspitze würde ja nicht einmal als breites Unglück angesehen werden: Tausche FDJ-Sekretärin gegen Bürgerrechtler. Zweifellos würde diese Konstellation vermutlich auf eine breite Zustimmung in allen politischen Lagern stoßen. Darauf setzt die SPD, springen die GRÜNEN offensiv an die rote Seite. Im Gegensatz zu den vielen Unkenrufen vom „Untergang Deutschlands“ ist das legitim.
Ein wichtiger Aspekt des rot-grünen Pokers um den Kanzler-Sturz darf aber auch nicht übersehen werden. Die breite Sehnsucht nach einem „Papa“ im Amtssitz Bellevue. Seltsam genug, dass es nur ein Bundespräsident geschafft hat, nicht nur liebevoll so bezeichnet zu werden, sondern von einer breiten Mehrheit auch so empfunden wurde. Die Älteren werden sich noch heute an ihn erinnern, und dabei ist ein gewisses Leuchten in ihren Augen nicht zu übersehen. Theodor Heuss war – wie Konrad Adenauer als sein ihn fraglos ergänzender Gegenspieler – ein Glücksgriff für die Nachkriegs-gebeutelte Bundesrepublik. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“ sang man damals kalauernd aber durchaus zutreffend.
Wir haben keine Nachkriegszeit, Gott sei Dank. Aber wir haben zweifellos eine Krise des Systems an sich. Der Goldglanz einer im Wirtschaftswunder unbesiegbaren Ordnung blättert, eine Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes erschüttert unser Vertrauen in die Substanz der demokratischen Ordnung. In solchen Zeiten steigert sich die Sehnsucht nach Leitfiguren, nach Persönlichkeiten, die als Teil des „Wir“ empfunden werden. Das könnte die Stunde des „Papa“ Gauck werden, ein „Papa“ Wulff ist subjektiv kaum vorstellbar.
Sehnsucht ist das eine, Realität das andere. Denn ein Automatismus ist auch mit der Wahl einer Zielperson (der Sehnsüchte) nicht verbunden. Papa Heuss, der erste Bundespräsident, war nicht nur einer der gescheitesten Präsidenten in diesem Amt, er brachte auch die Bescheidenheit und damit das „Wir-Gefühl“ unnachahmlich zum Ausdruck. Er wirkte aus sich selbst heraus, war das pure Gegenteil von Arroganz und Selbstverliebtheit und wurde deswegen geradezu geliebt und verehrt. Das Volk fand sich in seinem höchsten Repräsentanten selbst. Unvergessen nicht nur das persönliche Erlebnis, als Papa Heuss in einer offenen Benz-Limousine am Mauerdemonstranten vorbeifuhr und das begeisterte Winken des einsam am Straßenrand winkenden Schülers souverän erwiderte. Unvergessen der tiefsinnige Humor, der dem Volk die Not der Nachkriegszeit leichter ertragen ließ. So, als Heuss den Soldaten der gerade aus der Taufe gehobene Bundeswehr zurief: „Na, dann siegt mal schön.“ So eine Äußerung würde heute wohl skandalisiert werden (weil wir verlernt haben, über Inhalte zu diskutieren).

Gauck ist wohl (noch) eine Spur zu selbstverliebt, um im Falle seiner Wahl die „Papa“-Sehnsucht erfüllen zu können, aber ein Pfarrer ist lernfähig (was der Bürgerrechtler in der Vergangenheit ja bewiesen hat). Und Wulff? Noch sagt man, er sei zu jung, kommt aus dem aktuellen Politbetrieb etc.  Na und? Aus diesem Betrieb kamen seine Vorgänger auch, einschließlich Theodor Heuss. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, auch ein junger Vater könnte in die „Papa“-Funktion hineinwachsen.   Allerdings: Ob Gauck oder Wulff, die Sehnsucht, die Suche nach dem Vorbild, das Orientierung gibt, wird uns wohl bleiben.

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Verschämtes Verschweigen: Gesine Schwan

Gerade einmal 12 Monate ist es her, das die SPD für das Amt des Bundespräsidenten eine Frau auf den Schild hob: Gesine Schwan. Die Begründung war einleuchtend: Es ist Zeit, eine Frau in das höchste Staatsamt zu wählen. Gesine Schwan hielt sich trotz der Aussichtslosigkeit tapfer und erzielte ein achtbares Ergebnis. Keiner wußte oder konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass der Bundesrepublik nur zwölf Monate später ein noch nicht dagewesener Rücktritt ihres Präsidenten ins Haus stehen würde.
Aber das die SPD nur ein Jahr später ihre „überzeugende Alternative“ aus dem Jahre 2009 schon vergessen haben würde, hätte wohl auch keiner der Auguren vermutet. Was hat sich an Gesine Schwan in zwölf Monaten so verändert, dass sie nicht mehr Präsidenten-like ist? Oder war der aus dem Hut gezauberte männliche Kandidat Joachim Gauck nur dem, wenn auch kurzfristigen aktuellen Umstand geschuldet, dass die Koalition mit Ursula von der Leyen nun selbst (wieder) eine Frau ins Spiel brachte? Aber reicht selbst das, um gewissermaßen im Nachhinein die eigene Kandidatin so abzumeiern? Nach fünf Jahren kann man eine Neu-Nominierung nachvollziehen, aber nach nur zwölf Monaten?
Der Koalition wird nun parteiliche Taktiererei zum Nachteil des Vaterlandes vorgeworfen. Ich meine, die Opposition, voran die SPD, sollte sich mit diesem Vorhalt an die eigene Nase fassen. Gewiss, Taktik gehört zum politischen Geschäft. Aber auch die Ehrlichkeit sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben. Und da wäre wenigstens ein Wort der Begründung, warum man Gesine Schwan nach nur zwölf Monaten einer Kandidatur offenbar für unwürdig hielt, angebracht gewesen. Vielleicht hätte die SPD dann doch einräumen müssen, dass sie diesmal einer Frau (U.v.d.L.) einen Mann gegenüberstellen wollte (J.G.) und darum, auch das wohl politische Logik, nicht auf Gesine Schwan setzen wollte. Egal. Zurück bleiben zwei Frauen, die die taktischen Verletzungen durch ihre Parteien verarbeiten müssen. Gesine Schwan mag sich trösten: Immerhin stand sie einige Wochen zur Aus-Wahl für das höchste Staatsamt.
Die erfolgsverwöhnte Ursula von der Leyen schaffte dies nur für zwei Tage.

Weitere Meinungen zur Präsidenten-Wahl: http://www.17juni1953.de > Presse

Es darf geheuchelt werden

Ein Präsident tritt zurück. Respekt!
Wenn Horst Köhler allerdings einer ausufernden Debatte um ihn, um seine nie kritikfreien Äußerungen ein Ende setzen wollte, dann hat sich der Präsident wohl geirrt. Diese Diskussion wird in den nächsten Tagen erst richtig entfacht werden. Denn vermutlich ging es gar nicht um inhaltliche Auseinandersetzungen, sondern um das politische Unwohlsein mit einem Präsidenten, der sich einmischte, der auch einmal Tacheles redete. Das gehörte sich nicht, das war mit dem Verständnis der Exekutive kaum in Einklang zu bringen.

Jetzt überschritt Köhler offenbar den Rubikon. Mit seiner Aussage über die Handelsnation Deutschland und der Aufgabe, diese Funktion auch notfalls mit der Waffe verteidigen zu müssen, rührte er an Essential deutscher Realpolitik: Dem Volk müssen nicht alle Wahrheiten serviert werden, es reicht, notgedrungen von „kriegerischen Handlungen“ zu sprechen, um die „Freiheit am Hindukusch“ zu verteidigen. Wer hier auch nur andeutungsweise von verteidigungswerten Handelswegen spricht, sprengt den innenpolitischen Konsens, an den sich bislang lediglich DIE LINKE nicht gehalten hat.

Ob die Kritik an Köhler selbst, an dem Amt des Bundespräsidenten, wirklich zum erstmaligen Rücktritt eines Präsidenten geführt hat, werden wohl erst Historiker ergründen und beschreiben. Tatsächlich dürften mehrere Faktoren diesen Schritt beschleunigt haben. Die personalen Unruhen im Präsidialamt, die der einstige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) wohl nicht in den Griff bekam, waren zweifellos Gift für die Reputation des Amtes, zumal ebenfalls einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
Aber Rücktritt?

Könnte es sein, das der international geachtete Wirtschafts- und Währungsfachmann die Grenzen seiner Möglichkeiten erkannte? Dass er im Schatten der dunklen Unwetter-Wolken am Euro-Himmel und im zuckenden Licht der Blitze am internationalen Börsen-Firmament stumm bleiben musste? Wollte Horst Köhler vielleicht nicht „sehenden Auges“ einem ins Haus stehenden wirtschaftlichen und finanziellen Fiasko zusehen? Wollte er wenigstens nicht dafür als Fachmann, der es eigentlich hätte wissen müssen, eines Tages zumindest in die moralische Verantwortung gezogen werden?

Vielleicht hat er ja hinter den Kulissen sein Wissen eingebracht? Wurden seine Ratschläge, für ihn zunehmend unerträglich, ignoriert? Hat hier ein Mensch den Bettel aus Selbstachtung hingeworfen, obwohl einer seiner Vorgänger trotz weit schwerwiegenderer Vorwürfe („KZ-Baumeister“) im Amt ausgehalten hatte? Es darf spekuliert und es wird geheuchelt werden.

Horst Köhler indes verweigert sich hinfort dem politischen Intrigenspiel, darf aufrecht das präsidiale Schloss verlassen.
Danke, Herr Bundespräsident!