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Posts Tagged ‘Joachim Gauck’

Opfer, Interessenten und engagierte Menschen

Tag der Offenen Tür in BStU-Außenstelle Frankfurt ein Erfolg

Berlin, 7.03.2010/cw – Es war zweifellos der Höhepunkt der Veranstaltung, wie Rüdiger Sielaff, Leiter der Außenstelle, zurecht feststellte: Die Buchlesung mit Joachim Gauck, der im vollbesetzten Raum sein Buch „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ vorstellte. Ungewöhnlich genug, das die Plätze zuvor reserviert werden mussten und daher mittels einer Kamera die Lesung ins ebenfalls vollbesetzte Foyer übertragen wurde. So waren viele Zuhörer überrascht über einen Joachim Gauck, der weniger die „Behörde“ seines Namens präsentierte, als einen Menschen, der humorvoll, häufig philosophisch, ansonsten sensibel und bewegend über „seine Zeit“ in der DDR berichtete. Da kam fast etwas Wehmut auf, wenn Gauck über den Abschied von seinen Kindern berichtete, die nach und nach in den „Westen machten“, während er, der Pfarrer, vor Ort bleiben wollte, weil „doch nicht Alle gehen konnten“.
Ein wenig Trauer drang da schon durch bei dem Bürgerrechtler, dass dann alles nicht so lief, wie man sich das erträumt hatte. Unausgesprochen stand es kurzzeitig im Raum: Wäre eine bessere DDR nicht wünschenswert gewesen? Aber Gauck wäre nicht Gauck, wenn er nicht selbst in die Realität zurück fände. So fand ja die Lesung nicht zufällig vor einem Mauer-Segment statt, auf dem eine ehemalige Gefangene eindrucksvoll am Beispiel der Frauen von Hoheneck, dem berüchtigten Frauenzuchthaus der DDR, den Verkauf aus politischen Gründen Verurteilter an die Bundesrepublik dargestellt hatte. Gauck erinnerte an die Verfolgung Andersdenkender, rief eindrücklich die Persiflage ins Gedächtnis, die man als „Wahlen“ bezeichnet hatte und appellierte mit lebhafter Empathie an seine Zuhörer, die Wahlen in einer Demokratie als eines ihrer wichtigsten Essentials wahrzunehmen. Denn: Es gebe immer eine Möglichkeit, zwischen den Angeboten „die beste aller schlechtesten oder die schlechteste aller besten Varianten“ zu wählen. Kein Wunder, wenn nach diesem Vortrag eines engagierten Vaters, Ehemanns, Pfarrers und Bürgerrechtlers der ausgelegte Bücherstapel im Nu vergriffen war und Gauck kaum nachkam, seinen begehrten Namenszug in die Kaufobjekte der geduldig Wartenden, hin und wieder mit persönlicher Widmung, einzutragen.

Wie bereits erwähnt, hatte die Außenstelle neben vielen Dokumentationen auch eine Auswahl jener künstlerisch gestalteten Mauersegmente nach Frankfurt geholt, die in einer beispiellosen Aktion zum zwanzigsten Jahrestag der Mauer-Öffnung zwischen Reichstag und Potsdamer Platz symbolisch zum Einsturz gebracht worden waren. Das Segment „Hoheneck“, geschaffen von Heide-Lore Fritsch aus Berlin, war im Oktober letzten Jahres eigens vor die ehemaligen Zuchthaus-Mauern transportiert worden, um dort von den Frauen der „Ehemaligen“ enthüllt zu werden. Es stand dann noch vielbeachtet von Einwohnern und Besuchern bis zum 3. Oktober vor dem Rathaus der Stadt Stollberg, ehe es dann seinen Platz zum großen Mauerfall-Spektakel vor dem Brandenburger Tor fand. Finanziert hatte den Stein und die Aktion der Landesverband Berlin-Brandenburg der VOS, der Frauenkreis ehemaliger Hoheneckerinnen, die Vereinigung 17. Juni und zahlreiche Einzelspender.

Am Vormittag war eine eindrückliche Ausstellung von Fotos der Künstlerin Franziska Vu eröffnet worden, die Reflektionen aus dem zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen vorstellte. Zwei ehemalige Insassen, Sigrid Paul und Mario Röllig, VOS-Landesvorsitzender der vorgenannten Sektion, berichteten eindrucksvoll über ihre traumatischen Erfahrungen in jener Haftanstalt, die heute noch von ehemaligen Kadern der Folter- und Zersetzungs-Truppe als „Horror-Kabinett der Lügner und Geschichts-Leugner“ diffamiert wird.
Erstaunlich viele Interessenten nutzten die Gelegenheit, einmal hinter die Kulissen der Aufarbeitungsbehörde zu blicken und hier und da mit ehemaligen Opfern und Verfolgten ins Gespräch zu kommen. Engagierte Mitarbeiter der Außenstelle sorgten nicht nur mit fachkundigem Rat, sondern mit Herzlichkeit für eine Wohlfühl-Atmosphäre an einem Ort, der ansonsten mit Bildern und Dokumenten eher das Grauen von Gestern beschrieb. Liebevoll hergerichtete Schmalzbrote, Kuchenstückchen mit Kaffe oder Tee ermöglichten den Besuchern eine Pause und ließ sie zur notwendigen Ruhe kommen.
Die Mauersegmente sind noch bis Ende März zu den Öffnungszeiten in der Außenstelle zu besichtigen.

Joachim Gauck vor dem Segment "Hoheneck"

Tatjana Sterneberg erklärt Joachim Gauck das Segment "Hoheneck"

Gauck-Buchvorstellung in Frankfurt/Oder

Das Team der BStU-Außenstelle mit Joachim Gauck

Mario Röllig und Franziska VU eröffnen die Foto-Ausstellung

C.W.Holzapfel, Rüdiger Sielaff, Joachim Gauck, Tatjana Sterneberg

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