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Die „Schweine“ sind unter uns: Bahro, Hess und Mahler

Berlin, 24.07.2011 – Ein Franz Josef W., Kolumnist einer, wenn nicht d e r Boulevard-Zeitung, setzt seine Leser gewohnt ins Bild: Er bezeichnet Rudolf Heß als „dieses Schwein“ und spricht ihm eine würdige Totenruhe ab. Hintergrund: Vor wenigen Tagen wurde das Grab des ehemaligen Partei-Stellvertreters von Adolf Hitler „aufgelöst“, die sterblichen Überreste also ausgegraben und entfernt.
Nun mag ja vielfach berechtigte Erleichterung darüber ausbrechen, dass sich der alljährliche braune Spuk im oberfränkischen Wunsiedel erübrigt. Kein Grab, keine Heroisierung, keine widerlichen Demos. Das ist die politische Wertung. Ein Christ mag über die Zustimmung der örtlichen christlichen Gemeinde seine eigenen Gedanken haben.
Berechtigt diese Erleichterung aber dazu, einen Verstorbenen als „Schwein“ zu titulieren? Bedient sich hier nicht der Kolumnist einer Sprache, die er gerade den Nazis und Neo-Nazis zu Recht ankreidet? War zum Beispiel Rudolf Bahro, der politische Häftling der zweiten Diktatur, nun also ein Schwein, weil ihn das MfS oder die SED so sah? Ist Horst Mahler ein Schwein, weil er wegen seiner schlimmen, politisch nicht zu verzeihenden Äußerungen zu 12 Jahren (politischer) Haft verurteilt wurde? War oder ist (der tote) Rudolf Hess ein Schwein, weil seine Haft in erster Linie eine politische Haft war? Weil er sich 1941 nach England absetzte, um (vermeintlich) den Frieden (für wen?) retten zu können? Weil er gar vom Nürnberger Gerichtshof vom Vorwurf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ freigesprochen wurde? Oder „nur“, weil er Stellvertreter in einer mörderischen Partei war?

Ich meine, ein Mensch, gleich welcher Coleur der Haut, der Herkunft oder der politischen Überzeugung, darf nicht als Schwein tituliert werden. Allein die Existenz unterschiedlicher Auffassungen über Normen und Werte verbietet diese Sprache, will man sich nicht mit Nazis, Kommunisten oder vergleichbaren extremistischen Gruppierungen auf eine Stufe stellen. Denn diese Gruppierungen erheben ihr eigenes Totschlag-Weltbild zur einzig gültigen, die Menschheit beglückenden Maxime. Wo das hingeführt hat, wissen wir und leugnet Horst Mahler & Co.: Von der Bezeichnung des Juden als „Schwein“ bis zur Vernichtung in Auschwitz führte ein direkter, mörderischer Weg. Von den menschenverachtenden Titulierungen Stalins für die Feinde des Kommunismus führte der direkte Weg in die Erschießungskammer der Lubjanka oder in die Hölle von Sibirien. Von der Kritik am Arbeiter- und Bauernstaat führte der Weg über die diffamierende menschliche Diskriminierung direkt in die Höllen von Bautzen, Cottbus und Hoheneck.
War der ehemalige Staatsminister des Freistaates Bayern, Alfred Seidl (CSU), auch ein Schwein, weil er einst Rudolf Hess in Nürnberg (und danach) verteidigt hat? Ist Otto Schily, eins Bundesinnenminister, auch ein Schwein, weil er zuvor Horst Mahler zwar als RAF-Terroristen, nicht aber als Leugner des Holocaust verteidigt hat? Gehört in diesem Sinn auch Hans-Christian Ströbele statt in den Bundestag in den Schweinestall wie der ehemalige Bundeskanzler Gerd Schröder, der Horst Mahler verteidigte und förderte, als dieser sich noch politisch links verortete?
Wo fängt das „Schwein“ an? Wo hört das „Schwein“ auf? Auch der Kolumnist einer Boulevardzeitung sollte sich einer redlichen Sprache bedienen und nicht aus dem Bauch heraus agieren und damit für jene Werbung machen, die er vorgeblich bekämpfen will. An der Sprache sollt (könnt) ihr sie erkennen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Franz Josef W. sollte trotz aller gegebenen Zwänge (die oft nur behauptet aber keine sind) wenn schon nicht Vorbild, dann wenigstens stilbildend sein. Dann würde man auch bei dem Gedanken keine Bauchschmerzen haben, dass viele Millionen Menschen (nicht Schweine!) seine „schweinische“ Kolumne gelesen haben.

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